Mein Kind zeigt aggressives Verhalten – was tun?

Kathrin Elternsein 13 Comments

Es vergeht kein Tag, an dem unser Mädchen nicht ihre Angriffslust zeigt. Gelegenheiten hat sie viele: fast täglich treffen wir Freundinnen und deren Kinder. Manchmal ist es nur ein leichtes Schubsen. Oft greift sie jedoch gezielt ins Gesicht oder in die Haare, die sie dann gleich büschelweise ausreißt. Für gewöhnlich hat sie es auf ein Kind besonders abgesehen und dieses muss dann volles Rohr einstecken.

Wie ich mich fühle?

Nicht nur die attackierten Kinder weinen manchmal – auch mir ist echt zum Heulen zumute. Die malträtierten Racker tun mir so leid! Vor allem wenn sie andauernd von unserem Mädchen ins Visier genommen werden und deutlich sichtbare Blessuren davon tragen. Ich möchte sie gerne beschützen, aber oft bin ich einfach nicht schnell genug. Das führt dazu, dass ich unser Mädchen an manchen Tagen nicht mehr aus den Augen lasse, aus Angst sie könne andere ernsthaft verletzen. Mein Stresspegel steigt. Ich bin total unentspannt und verzweifelt.

Was unser Mädchen anbelangt, bin ich hin und her gerissen. Meist kann ich ihre Reaktion nachvollziehen, obschon ich sie nicht gutheißen kann. Manchmal aber kann ich überhaupt nicht verstehen was sie tut, vor allem wenn sie immer und immer wieder scheinbar grundlos angreift. Dann werde ich ernsthaft sauer und das Gedankenkarussell dreht sich: Warum ist sie so aggressiv? Warum kann sie nicht einfach in Ruhe mit den anderen spielen? Trage ich in irgendeiner Weise zu ihrem Verhalten bei? Oder ist es tatsächlich wieder einmal eine dieser Phasen?

Meine bisherige Erziehungsstrategie

Beobachten und handeln. Näherte sich unser Mädchen gut gelaunt einem anderen Kind, gab es nichts zu befürchten. Setzte sie den heftigen Zornesblick auf, galt es für mich achtsam zu sein.

Stand sie kurz vor einem Angriff, rief ich „Nein!“, doch das hielt sie meist nicht von ihrem Vorhaben ab. Ich griff also lieber ein und versuchte zu schlichten bzw. eine Alternative anzubieten, wenn es sich beispielsweise um einen Spielzeugstreit handelte.

Hatte sie es auf ein Kind besonders abgesehen, stellte ich mich schützend zwischen unser Mädchen und ihr „Objekt der Begierde“. Mal mehr, mal weniger erfolgreich.

Hatte sie bereits angegriffen, kümmerte ich mich zuerst um das verletzte/ weinende Kind. Ich tröstete dieses und erklärte unserer Tochter, warum das andere Kind weint. Ich gab ihr außerdem mit ruhigem Tonfall zu verstehen, dass ihre Handlung nicht gut war. Ich bat sie dabei mir in die Augen zu schauen, in der Hoffnung, dass sie so besser versteht. Bei jedem Angriff erneut.

Blöd waren die Situationen, in denen unser Mädchen gar nicht auf Krawall gebürstet war, aber ich das glaubte. Ich eilte ihr flugs hinterher und griff reflexartig ihre Hand – auch wenn sie nur lieb ein Spielzeug überreichen wollte. Erkannte ich rechtzeitig ihre gute Absicht, stoppte ich mein Manöver und stand mit hochgerissenen Armen hinter ihr. Dass ich mir dabei ziemlich bescheuert vorkam, kannst du dir wahrscheinlich vorstellen…

Wie reagiert unser Mädchen?

Direkt nach einem Angriff ist sie total gelassen. Meine Worte scheinen an ihr abzuprallen. Ihr Gesicht ist neutral. Manchmal lacht sie sogar, wenn ein anderes Kind weint. Und „Ei“ statt kratzen, macht sie schon lange nicht mehr…

Falsche Erziehungsstrategie?

Nachdem ich wochenlang scheinbar erfolglos nach oben beschriebener Weise gehandelt hatte, wurde mir mehrfach vorgeschlagen lauter und eindringlicher mit ihr zu reden – mal so richtig mit ihr zu schimpfen. Außerdem sollte ich versuchen, sie nach einer Attacke in eine Ecke/ einen anderen Raum zu setzen, um ihr zu signalisieren, dass sie etwas „Böses“ getan hat.

Ganz ehrlich? Ich halte nichts vom Schimpfen: Kinder, die angebrüllt werden, hören auch nicht besser. Sie in einen anderen Raum zu stecken, setzt voraus, dass unser Mädchen die komplexen Zusammenhänge von Ursache und Wirkung bereits versteht. Das halte ich in diesem Alter für höchst unwahrscheinlich.

Nachdem meine Erziehungsmethode jedoch nicht fruchtete und obendrein vermehrt in Frage gestellt wurde, fing ich wieder einmal an zu zweifeln. Ich googelte „Kleinkind schlägt/ beißt“ und siehe da – aggressives Verhalten im Kleinkindalter ist wohl ein weit verbreitetes Problem.

Aggressives Verhalten – was steckt dahinter?

Scheinbar durchlaufen alle Kinder im Alter zwischen 12 Monaten und 3 Jahren (egal aus welcher sozialen Schicht/ aus welchem Land/ welcher Kultur) die sogenannte Trotzphase. Zu dieser Phase gehören Handgreiflichkeiten, wie schubsen, beißen, kratzen, treten, an den Haaren ziehen.

Der Verlauf dieser Phase unterscheidet sich von Kind zu Kind und ist abhängig vom jeweiligen Temperament. Das heißt konkret: ruhige, schüchterne Kinder reagieren weniger intensiv als energische Kinder (wie unser Mädchen).[1]

Die Trotzphase (inkl. der Handgreiflichkeiten) ist ein wichtiger Entwicklungsschritt basierend auf einem uns innewohnenden Aggressionstrieb. Sie ist angeboren – nicht anerzogen! Renz-Polster erklärt, dass sich Aggression und Zorn v.a. bei Säugetierarten zeigt, die um „Status, Anerkennung und handfeste Vorteile in der Gruppe“ konkurrieren.[2] Angriffslust ist also wichtig für uns Menschen und kann – dosiert eingesetzt – durchaus positiv sein.

Und genau das ist das Problem: Unser Mädchen muss erst lernen „den roten Zornhebel mit einer gewissen Zurückhaltung, Sparsamkeit und einem kritischen Blick auf die unerwünschten Wirkungen zu bedienen.“[3] Schon jetzt „beschweren“ sich ihre Spielkameraden manchmal, wenn sie aufkreuzt. Lernt sie nicht bald ihr Temperament zu zügeln, spielt bald niemand mehr mit ihr oder sie bekommt Klassenkeile.

Die Art und Weise, wie Aggression ausgetragen wird, ist übrigens ebenfalls angeboren. D.h. ein Kleinkind braucht nicht erst zu sehen, dass jemand schlägt, beißt oder an den Haaren zieht, es tut es aus sich selbst heraus.

Keine Bestrafung!

„Es hat wenig Sinn zu schimpfen oder durch schlichtes Verbieten das aggressive Verhalten zu unterdrücken. Aus der Sicht des Kindes ist sein Verhalten ja richtig. Es wehrt sich und es behauptet sich in der Gruppe. Die Mittel, die es dazu benutzt, sind ihm genetisch vorgegeben. Was macht es also falsch? Um das zu erkennen, muss ein Kind Moralvorstellungen entwickeln und das kann bis zum 3. Lebensjahr dauern.“[4]

„Darüber hinaus kann man als Eltern durch eigene Aggression und vergleichbare Handlungen (z.B. schreien oder auf die Finger „klapsen“) sein Kind auch noch zu diesem Verhalten legitimieren.“ Wer will das schon?

Warum zeigt mein Kind kein Mitgefühl? 

„Ohne ein klares Verständnis von dem, „wer bin ich“ und „wer bist du“ gelingt kein emotionaler Perspektivwechsel (also das Hineinversetzen in die Gefühlswelt des Anderen).“[5]

Erst um den 2. Geburtstag herum, weiß ein Kind, dass es eine eigenständige Person ist. Erst zwischen 2 ½ und 3 Jahren kann ein Kind Mitgefühl empfinden. Erst dann kann es nachvollziehen, dass die eigene aggressive Handlung anderen Schmerz und Kummer bereitet.

„Wenn Kinder sich schon früher zurückhalten, dann liegt es entweder in ihrem Charakter begründet oder sie haben schon Angst vor Strafe (was keine gute Erziehung ist).“

Neuer Schlachtplan: Einfach ignorieren!

Zu wissen, dass unser Mädchen nix dafür kann, ist zwar beruhigend, bringt uns aber auch nicht weiter. Ich muss für mich einen Weg finden, mit ihren Aggressionen umzugehen, ohne selber aggressiv zu werden bzw. die Aggression anderer Mütter auf mich zu ziehen.

Einen Hoffnungsschimmer hab ich jedoch noch. Die Idee für meinen neuen Schlachtplan habe ich von Nina, deren Tochter bereits ein langes Klagelied auf das Verhalten unserer Tochter singen kann. Sie beobachtete folgendes bei einer anderen Mutter:

Nach einer Attacke hat sich die Mutter ausschließlich um das angegriffene Kind gekümmert. Das eigene Kind bzw. sein Verhalten wurde gänzlich ignoriert. Keine Blicke. Keine Worte. Nichts. So erhält der Angreifer überhaupt keine Aufmerksamkeit und lernt, dass Mama sich bei bestimmtem Verhaltensweisen intensiv mit einem anderen Kind beschäftigt. Das ist doppelt blöd. 

Was bei anderen funktioniert, klappt bei uns vielleicht auch. Diese Methode gefällt mir ziemlich gut, weil ich mir nicht den Mund fusslig reden muss, ohne dass es bei unserem Mädchen ankommt. Ich muss nicht laut oder grob werden. Ich kann ihr durch Körpersprache signalisieren, dass etwas gerade „nicht nach Plan“ läuft – das klappt in anderen Situationen schon gut, also werde ich das auch bei ihren Angriffen testen.

Ob es funktioniert, werde ich in Kürze berichten. Bis dahin orientiere ich mich an einem wichtigen Zitat:

„Ein Kind braucht Deine Liebe am meisten, wenn es sie am wenigsten verdient.“

 

Nachtrag: Dieser Artikel stammt vom Januar 2013. Wen es interessiert, wie es weiter ging, kann folgendes lesen:

Aggressives Verhalten beim Kind: Eine Selbstreflexion (März 2013)

Aggressives Verhalten beim Kind: Familylab-Familienberatung (September 2013)

 


 

 

Footnotes    (↵ returns to text)

  1. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 178.
  2. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 178.
  3. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 178.
  4.  http://www.rund-ums-baby.de/entwicklung/stichwortsuche.htm?stichwort=aggressivitaet-bei-kleinkindern
  5.  http://www.rund-ums-baby.de/entwicklung/Sohn-maltraetiert-andere-Kinder-was-koennen-wir-tun_44823.htm
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