Ich stille unser Mädchen seit 2,5 Jahren. Als ich diese Tatsache neulich offen äußerte, schaute mein Gegenüber irritiert auf meine Brüste und fragte: „Ist da überhaupt noch was drin?“ Ich schmunzelte und antwortete: „Natürlich!“
Ein Kind länger als 6 Monate zu stillen ist in Deutschland zwar ungewöhnlich und für viele befremdlich, aber möglich.
Die Milchproduktion wird durch das Saugen des Babys angeregt und solange fortgesetzt, wie Milch angefordert wird. Nur so waren unsere Vorfahren überhaupt in der Lage zu überleben, schließlich gab es früher „keine adaptierte Folgemilch, ja, bis vor wenigen tausend Jahren noch nicht einmal Tiermilch.“[1]
Kinder mussten also bis ins Kleinkindalter gestillt werden, ob Mütter wollten oder nicht. „Das Nahrungsangebot war oftmals spärlich. […] Die Kindersterblichkeit enorm hoch.“[2] Es galt saisonale Nahrungsengpässe, sowie den generellen Mangel an „für Kleinkinder verwertbare Eiweißquellen“ zu überwinden.[3] Außerdem boten die Antikörper in der Muttermilch den wirksamsten Schutz vor Krankheiten und Infektionen.
Nur wer lange stillte, bewahrte sein Kind vor dem sicheren Tod.
Heute gibt es nichts mehr zu befürchten: Unsere Hygienestandards sind hoch und die Kaufhausregale prall gefüllt mit künstlicher Säuglingsnahrung. Keine Mutter muss stillen – erst Recht nicht lange – und doch ist der weibliche Körper nach wie vor in der Lage, jahrelang Milch zu produzieren. Eine erstaunliche Meisterleistung.
Ich bin selbst überrascht, wie problemlos ich liefere, was unser Mädchen „bestellt“. Sie erhält zwar seit dem 6. Monat feste Nahrung und isst von dieser viel und gerne, aber Muttermilch trinkt sie nach wie vor reichlich – tags und nachts.
Obwohl ihr Trinkbedürfnis teils stark variiert – von stundenlanger Stillabstinenz bei Spiel und Spaß bis hin zum Dauerstillen im Krankheitsfall – scheint immer die richtige Menge für sie da zu sein. Auch noch nach 2,5 Jahren.
Die Annahme meines überraschten Gesprächspartners, dass nach so langer Stillzeit doch nichts mehr in der Brust drin sein könne, ist allerdings nachvollziehbar. Einerseits gibt es wenige Frauen, die ihre Kleinkinder in der Öffentlichkeit stillen und so könnte man meinen, keine tut es. Andererseits wird „zu wenig Milch“ als häufigster Grund für das Abstillen angegeben.
Doch den wenigsten Frauen mangelt es an Milch. Meist werden normale Veränderungen fehlinterpretiert, beispielsweise der gesteigerte Milchbedarf eines Kindes während eines Wachstumsschubes oder das „Weichwerden“ der Brüste (siehe auch „Zu wenig Milch“).
Wenn es dir wichtig ist weiterzustillen, wende dich an eine Stillberaterin vor Ort. Sie kann die Situation einschätzen und wird euch helfen. Leider sind viele Kinderärzte nicht unbedingt „Stillprofis“ und können deshalb in der Hinsicht selten gute Hilfe leisten.
„Aber normal ist das lange Stillen nicht, oder?“, werde ich weiter gelöchert.
„Nun, was ist schon normal?“, entgegne ich.
Für mich ist es das normalste der Welt mein Kleinkind zu stillen.
Warum sollte ich unserem Mädchen die Milch, die für sie bestimmt ist, verwehren? Warum sollte sie die Milch eines anderen Tieres trinken (auch künstliche Säuglingsnahrung besteht aus Kuhmilch), wenn sie doch genau die Eiweiße, Mineralien, Vitamine und Abwehrstoffe haben kann, die auf ihre Bedürfnisse zugeschnitten sind? Und die wichtigste Frage überhaupt: Warum sollte ich unsere Stillbeziehung beenden, wenn uns beiden das Stillen doch gefällt?
In Deutschland ist Muttermilch zwar für kleine Babys reserviert, weil es hauptsächlich als Nahrungsmittel betrachtet wird, doch auch Kleinkinder profitieren noch vom Stillen: Gesundheitlich, ernährungsphysiologisch UND emotional.
„Durch die ganze Stillzeit hindurch büßt Muttermilch nichts von ihrer Qualität ein. Die darin enthaltenen Immunfaktoren schützen das Kind – auch wenn es älter wird – vor Krankheiten und als Nahrungsmittel ist die Milch weiterhin optimal.“[4]
Außerdem ist das Stillen ein fantastisches Beruhigungsmittel, nicht nur nachts. Unser Mädchen lässt sich zwar auch von anderen Bezugspersonen trösten, aber wenn heftige Gefühlsstürme aufziehen oder wir längere Zeit in einer ungewohnten Umgebung verweilen, sucht sie bevorzugt meine Nähe. Was auch immer sie bedrückt, nach dem Stillen ist sie wie ausgewechselt – ausgeglichen und zufrieden.
„Mmmhhh, aber ist das nicht irgendwie … schädlich für sie?“
„Nein!“
Wie bereits angesprochen gehörte „körperliche Nähe und langes Stillen zu 99% der menschlichen Geschichte zu den unverhandelbaren Schutz- und Lebensbedingungen kleiner Kinder. […] Es gibt […] keine Hinweise auf schädliche Effekte auf die Psyche oder die Entwicklung des Kindes, wenn ins dritte Lebensjahr hinein oder länger gestillt wird.“ (siehe auch „Langzeitstillen aus evolutionsbiologischer Sicht„).
„Und wie lange willst Du noch so weiter machen?“, werde ich abschließend gefragt.
„Ganz ehrlich, ich weiß es nicht!“, lautete meine Antwort.
Im Idealfall sagt mir unser Mädchen irgendwann vor ihrem dritten Geburtstag, dass sie groß ist und keine Milch mehr braucht. Drei Jahre Stillzeit erscheinen mir (von meinem heutigen Standpunkt aus betrachtet) genug. Ob sie das auch so sieht, wird sich zeigen. Ich wünsche mir jedenfalls ein friedliches Abstillen, mit dem wir beide einverstanden sind. Keinen erbitterten Abstillkampf – dann hänge ich lieber noch ein paar Wochen dran.
Comments 101
Ich stille seit 20 monaten mein töchterchen und genieße es sehr. Jedoch merke ich gerade in letzter Zeit, wie sehr mich blödes Nachfragen, Gucken von Bekannten, familie verunsichert…das möchte ich nicht, denn ich vertraue auf mich und mein kind, dass wir beide einander kommunizieren können, wenn es zu viel wird…
Ein toller Beitrag, lieben Dank! Unser Lenny wird Ende Februar 3 zur Abendzeit und nachts mag er immernoch nicht auf die Brust verzichten. Aber, es geht auch ohne! Inzwischen variiert es, mal möchte er mit mir (sprich an der Brust) einschlafen und mal „reicht“ Kuscheln mit Papa. Und du hast recht, wenn Lenny aufgewühlt ist oder sich beim Toben etwas wehgetan hat beruhigt ihn nix schneller als die Brust. Klar, ab und an ist es für mich schon auch nervig, nachts zum Beispiel wenn er zu uns ins Bett kommt und gefühlte alle 10 Minuten andocken will. Aber im Großen und Ganzen genieße ich es (noch)! Trotzdem hoffe auch ich, dass er spätestens zur Kindergartenzeit brustfrei ist… Eines stört mich am Stillen am meisten: abwertende Kommentare!
Ich habe unser drittes Kind bis kurz nach dem 4. Geburtstag gestillt, konnte dazwischen auch 4 Tage ohne Kind wegfahren. War alles kein Problem. Abgestillt wegen Seitenstrangangina und Antibiotikumseinnahme. Also das Abstillen unter der Zeit ist sicher nicht einfach, wenn die Kleinen es noch nicht verstehen. Nur zuviel übers lange Stillen sprechen ist eher anstrengend wegen Rechtfertigungen vor der lieben Gesellschaft. Lg
Vielen Dank für diesen wunderbaren Artikel, der mir Mut macht, auf mein Gefühl zu hören! Habe diese Seite gestern zufällig entdeckt und der Artikel über das Familienbett hat mir total aus der Seele gesprochen und mich in meinem Handeln bestärkt. Bin auch großer Fan von Renz-Polster 🙂 Habe jetzt noch die Lektüre von all den anderen Artikeln vor mir (wenn mein Kleiner mich lesen lässt…) und bin sehr gespannt. Wunderbar, dass es diese Seite gibt! Vielen Dank!! Gesine
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Vielen lieben Dank für Deinen wunderbaren Kommentar, Gesine 🙂
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Ich lese immer so gern auf deiner Seite. Was du schreibst ist so wertvoll, hilfreich und 1000 Mal besser als in gekauften Zeitschriften. Deshalb liebe ich dein Blog. Vielen Dank für den tollen Artikel! Wir waren vor einem Monat im Geburtsvorbereitungskurs und da war die Hebamme (älteren Jahrgangs) wirklich der Meinung und sie hat es sogar propagiert man solle das Kind früh dran gewöhnen, dass die Eltern auch Zeit für sich brauchen, andernfalls würde es so werden wie die meisten Kinder inzwischen angeblich wären: “Verwöhnte Kinder, die ihren Eltern auf dem Kopf rum tanzen.” Ich fand das unmöglich sowas werdenden Eltern zu sagen, vor allem als Hebamme. Und diese Frau meinte dann auch noch das Tragetuch immer nur draußen verwenden, sonst würde das Kind ja ständig die Muttermilch riechen. Die Krönung war wirklich, dass sie noch sagte: “Wer länger als 6 Monate stillt gehört in Behandlung.” Es hat sich keiner getraut was zu sagen. Ich hab mit sowas nicht gerechnet, aber wenn ich nochmal auf so eine Person treffe, werde ich ihr gehörig die Meinung sagen. Zum Glück sind wir selbst gut informiert und haben unsere eigene Meinung dazu. Es ist unser Kind und es wird ganz viel Nähe, Liebe und Zuwendung bekommen. Und wenn es da ist, werde ich es auf jeden Fall länger als 1 Jahr stillen.
Tolle Hebamme! Da fehlen einem echt die Worte!!! Immer nur auf das eigene Gefühl hören 😉
Ich mag den Begriff „künstliche Säuglingsnahrung“ nicht. Das klingt, als hätte man wie die Chinesen vor einigen Jahren der Milch was untergemischt. Zum Rest mag ich mich nicht äußern. Es sollte jeder für sich und das Kind entscheiden, was richtig und wichtig ist. Vorausgesetzt, dass man umfassend über alles informiert wird.
Hallo Ilona, ich verstehe nicht, warum Du den Begriff nicht magst. Er beschreibt genau das, was es nunmal ist. Es ist ein künstlicher Ersatz für das, was normalerweise von der Natur für Säuglinge vorgesehen ist. Ist doch schön, dass es diese Möglichkeit gibt und so jeder für sich und das Kind entscheiden kann, was passt und ihm gut bekommt!
Gruß, Anna
Die Grundlage für die „künstliche“ Säuglingsnahrung ist immer noch Milch. Auch wenn sie von der Kuh stammt. Also ist es nichts künstliches, auch wenn die Kuhmilch mehreren Verarbeitungsschritten unterzogen wird. Mein Sohn hat Flaschenmilch bekommen. Aber ich hatte nie das Gefühl ihm was künstliches zu geben. Aber über Begrifflichkeiten muss man sich zum Glück nicht streiten. Wie du auch gesagt hattest, kann zum Glück jeder selbst entscheiden.
…Ich denke, wenn man sich die Inhaltsstoffe auf der Packung durchliest, ist die Bezeichnung „künstlich“ die einzig plausible…
Ich bin fünffache Mutter und habe alle meine Kinder lange gestillt. Das erste drei Jahre lang, davon über ein Jahr Tandemstllen mit dem zweiten Kind. Das zweite und dritte Kind haben beide ungefähr mit zwei Jahren von allein aufgehört. Das vierte Kind wollte vier Jahre gestillt werden und das fünfte ist sieben Monate alt und probiert grade neugierig, was es außer meiner Milch noch alles zu schmecken gibt. Die Großen (17, 19 und 20 Jahre) haben sich zu selbständigen, liebevollen Menschen entwickelt. Von ewiger Abhängigkeit und Verwöhnen keine Spur. Ich bin allen meinen Kindern dankbar für diese Stillzeiten. Wenn das Bedürfnis nach vollkommener Nähe und Geborgenheit gestillt ist, kann sich Loslassen und Eigenständigkeit entwickeln.
Sehr schöne seiten danke dafür! !! Ihc habe 7 monate alte zwillinge und am stillen besonders nachts stille ich jeden meist 4 mal. Ich war am überlegen abzustillen aber jetzt nach ihrem beitrag werd ich definitiv solang stillen wie meine schätze es brauchen!ihc denke jetzt bin ich gut informiert und kann mit dummen kommentaren die vielleicht kommen besser umgehen. Hatte auch da etwas angst davor. Vielen dank fürs Rücken stärken. Alles liebe und gute für sie. Liebe grusse bianca