In ihrem Gastartikel erfahrt ihr, wie Anna zu Montessori kam und wie diese Erziehungsphilosphie ihr half, den Alltag mit ihrer kleinen Tochter zu meistern. Ein toller Artikel, der neugierig macht und gleichzeitig praktische Spielideen mit auf den Weg gibt.
Viel Spaß beim Lesen!
Eure Kathrin
Inhalt
Mancher Anfang ist schwer
Vor 29 Monaten, als meine kleine Tochter auf die Welt kam, war ich überglücklich, doch mein Leben stellte sich gleichzeitig völlig auf den Kopf. Ich quälte mich mit unzähligen Fragen: Soll sie bei uns schlafen oder doch lieber in ihrem eigenen Bettchen? Wie oft soll sie gestillt werden? Reicht die Muttermilch eigentlich aus? Wächst sie so, wie sie sollte? Irgendwann kam dann die Zeit, in der sie jeden Abend bitterlich weinte. Dann die schlaflosen Nächte noch dazu. Was ist mit ihr los? Wie kann ich ihr helfen? Und wer kann mir helfen? So hatte ich mir das gewiss nicht vorgestellt.
Ich dachte, ich wäre auf ihr Kommen vorbereitet gewesen. Doch das Schmunzeln über Eltern, die ihre Kinder mit dem Auto durch die Stadt kutschieren, um diese zum Schlafen zu bringen, wich mir gänzlich aus dem Gesicht. Ab sofort verstand ich ihre Verzweiflung. Jeder, wirklich jeder schien ein Experte in Sachen Baby zu sein, nur ich nicht.
Beobachten und miteinander vertraut werden
„Das Wesentliche ist: Beobachte! Lerne dein Kind kennen! Wenn du wirklich bemerkst, was es nötig hat, wenn du fühlst, was es tatsächlich kränkt, was es braucht, dann wirst du es auch richtig behandeln, wirst du es richtig lenken, erziehen.“
(Emmi Pikler, Friedliche Babys – zufriedene Mütter)
Auf Empfehlung einer guten Freundin las ich Bücher von Emmi Pikler (Friedliche Babys – zufriedene Mütter), Magda Gerber (Dein Baby zeigt Dir den Weg) und Aletha J. Solter (Warum Babys weinen) und ich verstand: Mein Baby zeigt mir ganz genau, was es braucht. Ich muss es einfach nur beobachten und ihm vertrauen. So hörte ich auf, ständig auf die Uhr zu schauen, wann Julia wieder gestillt werden sollte, ich hörte auf, mich damit verrückt zu machen, wo sie am besten schlafen sollte und ich hörte auf, sie ständig beschäftigen zu wollen, wenn sie wach war und begann stattdessen, mich von ihr leiten zu lassen. Ich glaube dies war der Moment, in dem ich anfing, Kinder mit völlig anderen Augen zu sehen. Bald darauf entdeckte ich Montessori für mich.
Kinder verstehen: Mit einem Spielregal und einigen Körbchen gegen das Chaos
In den letzten 2 Jahren las ich viele Bücher über und von Montessori selbst und ihre Gedanken gaben mir das Gefühl, die Entwicklungsschritte und Bedürfnisse meiner Tochter besser zu verstehen.
So erfuhr ich beispielsweise, wie wichtig es sei, Kindern wenige, dafür aber sinnvolle Gegenstände und Spielsachen anzubieten. Julia hatte als Krabbelbaby relativ viele Spielsachen in einer großen Kiste. Bunte und schrille, einige aus Holz, das meiste aber aus Plastik oder aus Stoff. Sie wühlte in ihrer Kiste herum, räumte und verteilte alles im Wohnzimmer und nach ein paar Minuten ließ sie ihre Sachen links hinter sich liegen und weinte.
Als ich anfing mich mit Montessori zu befassen, verstand ich plötzlich, warum sie damals auf ihre Spielsachenkiste so reagiert hatte. Sie hatte zu viele, zu bunte und nutzlose Spielsachen. Alles nur aus dem gleichen langweiligen Plastik, so fand sie keine angemessene Herausforderung mehr und kannte sich in dem Spielzeugchaos nicht mehr aus. Auch mich störten die überall herumliegenden Rasseln und Stoffbälle. Also besorgte ich kleine geflochtene Körbchen, um dem Plastikwahn ein Ende zu setzen, sortierte und reduzierte ihre Spielsachen auf ein Minimum und stellte die neu beladenen Körbchen auf ein kleines, für Julia erreichbares Regal. Das Ergebnis war erstaunlich! Ab sofort hielt sich das Spielzeugchaos in Grenzen und vor allem, Julia zeigte viel mehr Interesse an ihren Spielsachen.
Das Leben spielen
Von Montessori lernte ich auch zu verstehen, dass alles was Kinder machen, sie aus einem bestimmten Grund machen. Nicht nur um die Welt besser zu begreifen, sondern auch um sich in dieser selbstständig zurechtzufinden. Das beobachtete ich bei Julia auch. Egal was ich im Haushalt machte, sie war sofort präsent und erkundete den Geschirrspüler, den Staubsauger und auch die Waschmaschine.
Ich erinnerte mich in einem der Montessori-Bücher eine schwarz-weiße Abbildung von einem Kind gesehen zu haben, das gerade CDs auf eine CD-Spindel fädelte. „Hey, das ist ja wie ihr Ikea-Turm, bei dem sie die Holzscheiben auf den Ständer fädeln muss, nur viel praktischer!“ und stellte ihr ebenso eine CD-Spindel und ein paar CDs in einem kleinen Korb hin und zeigte ihr, was ich ihr vorbereitet hatte. Und Montessori behielt Recht: Julia fädelte ganz versunken ungefähr 30 Minuten lang CDs auf und wieder runter. Auch am nächsten und am übernächsten Tag. „Aha! Das also sind die Übungen des praktischen Lebens!“ dachte ich mir und ab dem Moment haben für mich Spielsachen eine ganz andere Bedeutung bekommen.
Seitdem schaue ich genau hin, welche Spielsachen ich ihr kaufe. Sie sollen einfach, natürlich und vor allem, außer Spaß auch Sinnvolles geben können. Doch wenn ich Zeit habe, bastle und nähe ich ihre Spielsachen lieber selbst. Diese präsentiere ich auch immer wieder in meinem Blog (siehe Spielidee der Woche oder Lernmaterialien).
Loslassen statt permanent einzugreifen
Durch Montessori verstand ich, wie wichtig es sei das Kind zu beobachten, um zu erfahren, was es gerade für seine Entwicklung braucht. Das erinnerte mich an die Zeit, in der ich mich als frischgebackene Mama so verzweifelt um das Wohl meines Babys bemühte. Doch Beobachten bekam für mich später auch noch eine ganz andere Bedeutung, nämlich, nicht ständig in das Tun meiner Tochter einzugreifen, solange es nicht zu gefährlich wird. Das ist für mich bis heute eine meiner größten Herausforderungen.
„Das Kleinkind weiß, was das Beste für es ist. Lasst uns selbstverständlich darüber wachen, dass es keinen Schaden leidet. Aber statt es unsere Wege zu lehren, lasst uns ihm Freiheit geben, sein eigenes Leben nach seiner eigenen Weise zu leben. Dann werden wir, wenn wir gut beobachten, vielleicht etwas über die Wege der Kindheit lernen.“
Maria Montessori
Gemeinsam wachsen
Wir haben mit unserer Tochter schon einige Höhen und Tiefen miterlebt, die gefürchtete Autonomie-Phase kennengelernt, Julias Filzstift-Signaturen auf unseren Büchern entdeckt und das Schlafen noch nie so sehr vermisst, wie in diesen zwei Jahren. Doch durch Montessori lernten wir, wie wir mit unserem Kind gemeinsam wachsen können. Wie wir all diese Hürden und auch unsere Tochter mit anderen Augen sehen können. Es ist eine andere Haltung dem Kind gegenüber. Eine Haltung, die vor allem durch Wertschätzung gegenüber dem Entwicklungsfortschritt jedes Kindes charakterisiert ist. Eine Haltung, die liebevoll ermutigt und achtsam begleitet.
Mittlerweile beschloss ich, selbst Montessori-Pädagogin zu werden und startete im Winter die dreijährige Ausbildung auf der Montessori-Akademie in Wien. Das allerschönste Sinnesbild, welches ich oft während meines Studiums höre, ist das von einer kleinen jungen Pflanze, die nur dann gedeihen kann, wenn die Erde, in der sie gepflanzt wurde, gegossen wird und es genug Sonnenschein bekommt. Nicht zu viel aber auch nicht zu wenig. Dann aber wächst es ganz von alleine.