„Wir sind schon über sieben Monate hier in New York!“ sagte ich neulich zu Thomas, als wir die Kinder ins Bett gebracht und uns gemütlich auf der Couch einkuschelt hatten. „Sieben Monate schon?“ erwiderte er überrascht und nachdenklich zugleich. Er hakte nach: „Und, was ist Dein Fazit?“
„Puh!“ überlegte ich. „Schwer zu sagen!“ Dann schickte ich meine Gedanken auf eine intensive Erinnerungsreise und auf diese nehme ich Euch heute mit.
Ich liebe die Sonne!
Das mit Abstand tollste sind die vielen Sonnenstunden! Die Sonne scheint hier öfter, wärmer und länger als in Deutschland. Das ist nicht nur mein persönliches Empfinden, sondern eine Tatsache. Ich habe mich zwischendurch nämlich mit Klimadiagrammen beschäftigt und dabei gesehen, dass wir nicht nur gefühlt, sondern wirklich deutlich sonniger dran sind.
Die Sonne hilft meinem Seelenzustand ungemein. Kleine Sorgen, Rückschläge und Probleme lassen sich bei klarem Himmel und den freundlich warmen Sonnenstrahlen, die hier regelmäßig mein Gesicht und meine Seele streicheln, wesentlich besser bewältigen. Das typisch deutsche, kalt-nasse Schmuddelwetter war dagegen kein großer Stimmungsaufheller und hat mich regelmäßig in einen tiefen Winterblues katapultiert.
Hier schien der Sommer zunächst nicht enden zu wollen. Wie oft habe ich mich sagen hören: „Los wir fahren heute noch mal an den Strand, das ist bestimmt das letzte heiße Wochenende in diesem Jahr!“ Das letzte Strandfoto knipste ich letztendlich am 23. September 2017:
Und auch der Herbst blieb (von einigen, wenigen Tagen, an denen die Temperaturen in den Keller fielen, abgesehen) ungewöhnlich lange warm. Ich lief sogar noch im Oktober mit FlipFlops herum.
In der letzten Novemberwoche picknickten wir bei sonnigen 15 Grad am See.
Noch ehe wir uns versahen, zeigte das Kalenderblatt Dezember an, ohne dass es hier starke Einschränkungen aufgrund der Wetterbedingungen gab. Klar, kramten wir irgendwann die dicken Sachen raus und der Winter setzte sich letztendlich mit frostigen Winden, deutlich kühleren Temperaturen und letztendlich sogar mit Schnee durch. Doch statt wie in Deutschland tagelang aufgrund Dauerregens drin abzuhängen und unter „Budenkoller“ zu leiden, lockt die Sonne uns selbst jetzt noch nahezu täglich nach draußen.
Ich will Euch jetzt nicht absatzweise mit unserem schönen Wetter langweilen, aber ich hatte ernsthaft Bammel vor der Auswanderung mit den Nestlingen und vor allem vor der dunklen Jahreszeit, weil diese in Krefeld echt grau und mies sein kann. Nordrhein Westfalen ist übrigens das Bundesland, in dem es richtig düster aussieht (siehe „Anzahl der Sonnenstunden im Sommer 2016 und 2017 nach Bundesländern“). Das überwiegend wolkenlose Kontrastprogramm in New York hat mir den Start hier dementsprechend ungemein erleichtert. In vielerlei Hinsicht. Nur dass Ihr versteht, warum ich manchmal aus dem Schwärmen nicht mehr herauskomme.
Ich liebe Larchmont!
Als großes Glück empfinde ich, dass wir kurz vor unserer Auswanderung auf den County Westchester und sein Städtchen Larchmont aufmerksam gemacht wurden. So beeindruckend ich New York City finde und so gerne ich mir diese gewaltige Stadt anschaue, mit den Kindern möchte ich dort nur ungern leben.
In Larchmont dagegen fühle ich mich pudelwohl. Ich mag das saubere und gepflegte Erscheinungsbild, die breiten Straßen, die extrem individuellen Häuser, den gemäßigten Verkehr, die vielen ruhigen, grünen Ecken, die wunderbaren Spielplätze, den Geruch vom Meer und dass wir unglaublich praktisch gelegen sind.
Wir brauchen mit der Bahn nur etwa 30 Minuten bis zum Grand Central Terminal in New York City. Und wenn wir mit dem Auto in die anderen Richtungen düsen, erreichen wir in ähnlicher Zeit hübsche Strände, Parks und Farmen. Wir sind umzingelt von einladenden Ausflugszielen und Angeboten für Familien. Besser hätte uns das Schicksal nicht lotsen können.
Ich liebe unser Haus!
Ein weiterer großer Wohlfühlfaktor ist unser Haus wie ich auf Instagram schon mal erwähnt hatte. Es ist alt und renovierungsbedürftig und sicherlich nicht das Hübscheste. Wir hatten drei Monate lang kein Gas, die Türen schließen je nach Wetterlage etwas schwerfällig, die Fenster sind undicht, die Klospülung funktioniert nicht immer zuverlässig, die Heizung hat nur zwei Stufen (erfrieren oder Tod schwitzen), die Lichtschalter sind in jedem Raum anders und so hoch, dass das Mädchen nicht rankommt und der Bub erst Recht nicht. Im Sommer ist es im Haus kochend heiß, sobald die Temperaturen fallen, ist es drin kälter, als draußen. Ich könnte diese Liste beliebig erweitern und sie könnte ein guter Grund sein, das Haus nicht zu mögen und doch liebe ich es!
Wir haben Platz für ein gemütliches Familienbett und so viele Zimmer, dass die Nestlinge hier jeden Tag Fange, Hindernislauf oder Verstecken spielen.
Wir haben fließendes, warmes Wasser und eine Küche, in der ich leckere Sachen zubereite. Thomas ist in drei Minuten an der Bahn, die ihn zur Arbeit bringt. Wir teilen das Haus mit den besten Nachbarn der Welt (die bei übermäßiger Geräuschkulisse unsererseits nur scherzen, ob wir wieder die Bowlingkugeln ausgepackt haben) und wir leben in einer T-Straße, so dass die Kinder hier recht gefahrlos vor dem Haus spielen können. Im Sommer (Bild links) wie im Winter (Bild rechts).
Wir fühlen uns pudelwohl und sind mehr als glücklich hier. Ich bin so dankbar für unser nicht perfektes, aber umso heimeligeres zu Hause und würde wirklich gerne noch ein paar Jahre hier verbringen.
Nachbarn: Große Liebe
Unsere Nachbarn, mit denen wir uns ein Haus teilen (sie leben unter uns), tragen einen erheblichen Teil dazu bei, dass wir unsere vier Wände so dufte finden. Mittlerweile sind wir so eng miteinander verbunden, dass es sich nicht mehr wie Nachbarschaft, sondern wie eine große Familie unter einem Dach anfühlt.
Gerade jetzt in der kalten Jahreszeit kommen die Nachbarskinder häufig zu uns nach oben oder unsere huschen hinunter zum Spielen. Sie bewegen sich quasi frei zwischen beiden Wohnungen hin und her – ich liebe das.
Und auch wir „Großen“ liegen nach wie vor auf einer Wellenlänge. Unsere Ansichten und Geschmäcker sind so ähnlich, dass wir uns rege über anstehende Aktivitäten, Bastelideen, Filmtipps, selbstgemachte Kosmetikprodukte, Kochrezepte und vieles mehr austauschen. Es geht sogar so weit, dass wir uns regelmäßig unsere selbst gemachten Leckereien vor die Tür stellen. Weil wahre Liebe ja durch den Magen geht… 🙂
Aber im Ernst, ohne unsere Nachbarin wäre ich aufgeschmissen gewesen. Mal davon abgesehen, dass es unwahrscheinlich beruhigend und emotional wichtig für mich ist, einen lieben Menschen in unmittelbarer Nähe zu wissen, hat sie mir unentwegt geholfen. Sie erklärte mir beispielsweise gewisse, amerikanische Gepflogenheiten (u.a. an der Schule) und sie nimmt das Mädchen früh morgens gemeinsam mit ihren Kindern zur Schule. Letzteres ist fantastisch, weil der Bub auf diese Weise ungestört auspennen und ich in aller Ruhe in den Tag starten kann.
Ich revanchiere mich, indem ich zum Beispiel mit der ganzen Kinderschar bastle, während sie ihre Einkäufe erledigt oder ich ihre Kinder von der Schule abhole, wenn sie mal nicht kann. Gelegenheiten sich gegenseitig unter die Arme zu greifen, gibt es reichlich. Und dass das hier mittlerweile völlig selbstverständlich geschieht, weiß ich enorm zu schätzen.
Schule ist nicht zwingend schlecht für Kinder
Ein weiterer dicker Pluspunkt hier in Larchmont ist die Schule.
In Deutschland (zumindest in meiner „Online-Blase“) gibt es gerade recht starke Kritik an traditionellen Schulsystemen und zunehmend Befürworter des „freien Lernens“. Filme wie „Alphabet“ und diverse Artikel über demokratische Schulen haben mich und mein Denken beeinflusst. So stark, dass ich für meine Kinder am liebsten solch einen „freien“ Bildungsweg gewählt hätte.
In demokratischen Schulen (auch Sudbury-Schulen) wird das selbstbestimmte Lernen, ohne Lehrplan, Klassen, Noten, Vorgaben – ohne jeglichen Druck – gefördert. Die Kinder dürfen sich frei bewegen und ihren Tag frei nach ihren eigenen Interessen gestalten. Die Basis ist das Vertrauen in die Kinder, dass sie von Natur aus neugierig und wissbegierig sind und dass sie mehr und schneller lernen, wenn sie sich aufrichtig für etwas interessieren und begeistern. Hört sich doch toll an, oder?
Eine anscheinend sehr gute Sudbury Schule (siehe verlinktes Video oben) gibt es etwa 1,5 Autostunden nördlich von uns. Näher gelegen ist eine demokratische Schule in Harlem, die allerdings etwa 25.000 Dollar Schulgeld pro Jahr und Schüler nimmt. Beide Schulen kamen wegen der Entfernung und der Kosten nicht in Frage für uns, aber vielleicht ist das auch ganz gut so, denn sonst hätte ich nie die Erfahrung gesammelt, dass es auch ganz wunderbare, öffentliche Schulen gibt.
Die Grundschule des Mädchens ist kostenlos und beginnt erst 8:40 Uhr. Das Schulgelände ist riesig und lädt mit mehreren tollen Spielplätzen in den Pausen und nach der Schule zum Spielen ein.
Die Klassenlehrerin des Mädchens ist eine liebevolle und kluge, junge Frau, die einige Jahre in Finnland unterrichtet hat. Sie verteilte am Anfang des Schuljahres keinen strikten Stundenplan, sondern verkündete, dass sie neben Kunst-, Musik- und Sporteinheiten jeden Tag Basics wie Mathe und Lesen einplane, aber sie die Dauer und Intensität immer abhängig von der Tagesform der Kinder mache.
Es gibt zudem keine klassischen Hausaufgaben, dafür die Anregung regelmäßig mit den Kindern zu lesen, weil das gemeinsame Lesen fantasiereicher Kinderbücher das Sprachverständnis von Kindern wesentlich mehr fördere, als das stumpfe Abarbeiten von Arbeitsbögen. Ihr Anliegen ist, die kindliche Neugier und den Spaß am Lernen zu erhalten. Deswegen steckt sie den Kindern auch regelmäßig mathematische Spiele, Anregungen für Naturbeobachtungen oder ähnliche Inspirationen für zu Hause in den Ranzen.
Die Sitzordnung im Klassenzimmer ist ebenfalls flexibel. Runde Tische stehen für Gruppenarbeiten und Schreibübungen bereit. Ansonsten dürfen sich die Schüler während des gesamten Unterrichts frei im Raum bewegen. Niemand wird zum Sitzen gezwungen, wenn er nicht mehr sitzen kann. Prima, oder?
Den Kindern werden außerdem täglich mehrere Zeitfenster zum Spielen und selbstständigem Lesen eingeräumt. Dafür gibt es im hinteren Teil des Klassenzimmers ein gut bestücktes Bücherregal und viele Kisten mit diversem Spielzeug. Wer diese Minuten lieber zum Träumen nutzen will, kann es sich in einem gemütlichen Sitzkissen bequem machen. In dieser Zeit dürfen jedenfalls wieder die Kinder bestimmen worauf sie Lust haben.
Dass das Mädchen zweimal am Tag für jeweils 30 Minuten Privatunterricht erhält, beeindruckte mich jedoch am meisten. Ihre Nachhilfelehrerin ist genau so engagiert und wunderbar wie ihre Klassenlehrerin und hat ihr Sprachvermögen in den letzten Monaten unglaublich angekurbelt.
Schulalltag: Trotzdem anstrengend
Dennoch beklagte sich das Mädchen immer wieder mal darüber, dass sie nicht in die Schule will. Auf meine Frage hin, was sie lieber machen möchte, sagte sie: „Spielen!“ Wohl doch ein Kandidat für eine demokratische Schule?!
Weil ich befürchtete, dass ihr die Freude am Lernen vergeht, sprach ich dieses Thema bei ihrer Klassenlehrerin an. Sie reagierte überrascht, weil sich das Mädchen wohl immer sehr aktiv am Unterricht beteilige, stets fröhlich sei und beeindruckende Fortschritte mache.
Daraufhin vermuteten wir, dass Schule einfach nur wahnsinnig anstrengend für sie ist. Sie konnte weder Englisch noch das ABC – viele amerikanische Erstklässler können bei Schulbeginn schon schreiben. Die Umstellung vom verträumten, deutschen Waldorfkindergarten auf amerikanischen Schulalltag ist ebenfalls gewaltig. Und selbst in den Pausen arbeitet ihr Köpfchen ja unentwegt, zumindest solange, bis die neue Sprache richtig sitzt. Kein Wunder also, dass sie sich bei dem Lernpensum mehr freie Tage wünschte.
Dass wir mit unserer Theorie richtig lagen, zeigte das Mädchen am ersten Schultag nach den langen Weihnachtsferien. Gut erholt und ausgeschlafen trabte sie freudig-aufgeregt los und umarmte ihre Lehrerin herzlich zur Begrüßung.
Ihr könnt Euch nicht vorstellen wie dankbar ich bin, dass wir auf diese großartige Frau an dieser wunderbaren Schule geraten sind.
Familienzuwachs: Kater Hans im Glück
Zu den besten Herzensentscheidungen hier in Amerika zählte das Adoptieren eines Katers aus dem Tierheim. Hans, um genau zu sein.
Eigentlich wollte ich kein Haustier, da unsere Situation alles andere als unklar ist. Aber nachdem eine Streunerkatze, die das Mädchen von der Straße auflesen wollte und die ich (meine innere Stimme ignorierend) zurück gelassen hatte, angefahren wurde und starb, überkam mich der brennende Wunsch eine Fellnase aus dem Tierheim zu retten (mehr dazu bei Instagram).
Ich finde es nach wie vor bedenklich eine Katze alleine und zudem ausschließlich im Haus zu halten. Doch Hans (den Namen hat er übrigens von den Vorbesitzern) verprügelte laut Aussage der Tierheimpfleger andere Katzen und er hat zudem eine Flohallergie, die ihm das Leben kosten könnte, wenn er raus geht. Ganz davon abgesehen, brauche ich nur an den winzigen Käfig zu denken, in dem er wochenlang gehaust hat, bevor wir ihn zu uns nahmen.
All das relativiert jedenfalls meine schlechten Gedanken über das „Einsperren“ von Katzen im Haus. Und wenn ich ihn mir so anschaue, sieht er doch mächtig zufrieden aus.
American way of life: Was ich noch gut finde
Und dann gibt es noch sehr viele Kleinigkeiten hier in Larchmont/ New York, die ich sehr mag. Beispielsweise die freundliche und offene Art der Leute und dass sie mit jedermann zu jederzeit Smalltalk führen. Manche (Deutsche) empfinden das als oberflächlich, aber ich mag diesen lockeren Umgang sehr viel lieber, als stundenlang schweigend nebeneinander auf einem Spielplatz zu stehen wie es in Krefeld oft der Fall war.
Mir gefällt es wie die Menschen hier ihre Häuser zu Halloween und zu Weihnachten schmücken. Teilweise echt total übertrieben, aber dieser amerikanische „Kitsch“ trifft genau meinen Geschmack.
Ich bin begeistert wie viele Aktivitäten und Angebote es für Kinder gibt.
Ich mag, dass unsere Pakete einfach immer vor unserer Haustür auf uns warten. Das wäre in Deutschland undenkbar, aber hier klappt es wunderbar und ohne dass etwas abhanden kommt.
Und noch vieles, vieles mehr.
Dinge, die mich zum Verzweifeln brachten
Aber natürlich erlebe ich auch Situationen und Begegnungen, die weniger schön, manchmal sogar regelrecht frustrierend sind. Doch damit war natürlich zu rechnen beim Eintauchen in eine neue Kultur.
Mich nervt beispielweise, dass ich so schnell wie möglich einen Führerschein machen muss (eigentlich war der innerhalb der ersten drei Monate hier in New York fällig…). Ich fahre nun schon seit 20 Jahren unfallfrei Auto und das ziemlich schnieke, aber dennoch verlangt das New Yorker Gesetz einen neuen Führerschein von mir. Ein paar Meilen weiter, in Connecticut, würden die Beamten meinen deutschen Führerschein einfach übertragen. Lass ich jetzt einfach mal so stehen, diesen Blödsinn.
Nervenaufreibend war auch das Fehlen einer sogenannten „credit history“, die wir bei größeren Anschaffungen und finanziellen Geschäften vorlegen sollten. Wer wie wir immer alles in bar begleicht und demnach keine „credit history“ nachweisen kann, bekommt weder eine Kreditkarte noch eine Mietwohnung, noch ein Auto, wenn nicht gerade Dritte (wie der Arbeitgeber von Thomas) in die Bresche springen. Sehr kuriose Finanzwelt.
Spontane und unkomplizierte Banküberweisungen wie wir sie kennen, sind ebenfalls nicht ohne weiteres möglich. Darüber haben wir so einige Male geflucht. Stattdessen wird hier tatsächlich noch mit Schecks gearbeitet. Diesbezüglich ist es erstaunlich mittelalterlich das moderne New York.
Was mir außerdem Schwierigkeiten bereitet, sind die Maßeinheiten. Temperaturen werden in Fahrenheit gemessen. Längen in Meilen, Fuß und Zoll. Gewicht in Pfund und Unzen. Dabei weicht alles so stark von unserem metrischen System ab, dass ich ohne meine Umrechnungs-App bis in alle Zeiten aufgeschmissen sein werde.
Ebenfalls verwirrend sind die Schuhgrößen. Der Bub, ich und Thomas, wir haben hier alle drei die Schuhgröße 10. Eigentlich 26, 41 und 43. Das Mädchen trägt eine 1,5 (33). Ergibt keinen Sinn? Sehe ich auch so!
Woran ich mich eventuell nie gewöhnen werde, ist die große Angst der Amerikaner vor allem möglichen und die extrem übertriebenen Sicherheitsvorkehrungen und Regulierungen. Mittlerweile habe ich verstanden, dass die Amerikaner sich so in erster Linie davor schützen verklagt zu werden. Im Alltagsleben machen die ständigen Vorschriften jedoch wenig Spaß. Der Bub darf im Zoo beispielsweise nicht barfuß laufen. Wir dürfen im Trampolinland nicht gemeinsam auf einem Trampolin hüpfen. Das Mädchen durfte sich im Freibad nicht an den Schultern von Thomas festhalten, der Bub keinen Schwimmreifen mit ins Wasser nehmen und auch keinen Wasserball. Alles aus Sicherheitsgründen, versteht sich.
Angst und Regulierung von außen bestimmt leider auch deutlich die Kindererziehung. Hier liegt der Fokus auf sehr früher Bildung und vielen Nachmittagsaktivitäten (Sport oder AG’s wie Nähen). Viele Kinder durchlaufen hier einen straff durchgeplanten Tagesablauf und haben kaum Zeit für sich oder für freies Spiel in der Natur. Wir hängen nach der Schule meist auf dem enorm großen und weitläufigen Schulgelände ab, doch spätestens halb vier (Schule endet 15 Uhr) ist dieser wie leer gefegt. Nur zwei weitere Mütter spielen regelmäßig mit uns bis zum Sonnenuntergang. Ich wünschte, dass es mehr Gleichgesinnte gäbe, aber ich gebe die Hoffnung nicht auf, dass wir damit inspirierend auf andere Eltern wirken.
Ein sehr schmerzhafter Aspekt unseres Lebens hier sind die immens hohen Kosten. Miete beträgt mehrere tausend Dollar im Monat, für die Nahrungsmittel bezahle ich locker zwei bis drei Mal so viel wie in Krefeld, die Eintrittsgelder sind exorbitant hoch (Zirkus für uns vier lag beispielsweise bei 300 Dollar). Und selbst ein blödes Eis für die Kinder kostet 3-6 Dollar (pro Schnute). Das macht keinen Spaß.
Ebenfalls kein Schnäppchen ist unsere Krankenversicherung, die mit 670 Dollar/ Monat eigentlich zu den besseren gehört. Trotzdem wird sie nicht von allen Ärzten akzeptiert, was anfangs für große Verwirrung und Frust sorgte. Hier müssen wir vor jedem Arztbesuch prüfen, ob wir mit unserer Versicherung in die Praxis dürfen. Leider habe ich das bei unserem ersten Zahnarztbesuch mit dem Mädchen nicht gewusst und musste wieder gehen. Alternativ hätte ich 200 Dollar für die Kontrolluntersuchung aus eigener Tasche bezahlen können, doch das verweigerte ich.
Bei einem Arzt hier in Larchmont habe ich übrigens auch meinen bislang schwärzesten Tag als Mutter erlebt, als dieser ohne mich zu fragen und meine Zustimmung einzuholen, dem Mädchen etwa zehn verschiedene Impfstoffe auf einmal verpasst hat (dass es so viele waren, habe ich erst später auf dem Schreiben von der Krankenkasse gesehen). Da sie sich aus Angst vor der Spritze mit Händen und Füßen gewehrt hat, waren insgesamt drei Erwachsene notwendig gewesen, um sie festzuhalten. Ich habe mit dem Bub auf dem Arm machtlos zuschauen müssen und wir drei haben bitterlich geweint. Wenigstens war das Impfthema danach für sie durch, das war wirklich der einzige Trost 🙁
Alleine ist alles doppelt so anstrengend
Insgesamt betrachtet war das letzte Jahr ein echter Kraftakt. Bereits Anfang des Jahres, also Wochen vor der Auswanderung, war ich damit beschäftigt alles zu organisieren und in die Gänge zu leiten. Und so schön der Sommer und der lange, warme Herbst auch waren, gegen Ende des Jahres wichen meine Kräfte spürbar. Ich war unendlich müde und musste dringend einen Gang runter schalten.
Ich habe ja jedes Jahr im Winter ein kleines Tief und das blieb auch im Dezember 2017 nicht aus. Das war weniger emotional – gefühlsmäßig fiel ich nicht in ein tiefes Loch so wie erwartet. Deutschland fehlt mir, ehrlich gesagt, kaum. Ich war tatsächlich körperlich fix und alle.
Diese Phase nutzte ich zum Nachdenken und Herunterfahren. Ich ging in mich und igelte mich ein. Statt bestehende und neue Freundschaften zu pflegen, setzte ich den Fokus auf unsere Mini-Familie, was mir besonders in der Weihnachtszeit gut tat. Ich sparte zudem Energie, indem ich viel schlief und mich nur um das Wesentliche kümmerte. Dadurch ging es mir deutlich besser und ich habe nun wieder Kraft und Energie.
Dennoch achte ich weiterhin auf mich, denn Haushalt, die Kinder, den Blog und alle möglichen Aufgaben ringsherum alleine und „perfekt“ zu stemmen, ist auf Dauer nicht möglich.
In Krefeld hatte ich die Oma, die mir die Kinder regelmäßig abnahm und jede Woche eine Putzfee, die in zwei Stunden meine Bude komplett auf den Kopf stellte. Hier habe ich weder eine Oma, noch eine Putzfee – letztere würde 130 Dollar pro Woche kosten, was definitiv zu viel ist.
Dementsprechend mache ich Abstriche. Die Wohnung halte ich weitestgehend sauber, aber oft ist es nur Schadensbegrenzung. Die Putzfee kommt alle drei Monate oder wenn Besuch aus Deutschland ansteht 🙂 Meistens koche ich frisch, aber einmal in der Woche bestellen wir Pizza oder wir gehen Essen. Ich verbringe viel Zeit mit den Kindern, aber wenn ich eine Pause brauche, parke ich sie vor dem Fernseher. Meinen Blog liebe ich sehr und ich wünschte ich könnte täglich daran arbeiten, aber wenn mir beim Schreiben die Augen schwer werden, dann gehe ich doch lieber früher schlafen.
New York 2017: Highlights in Bildern
Zum Schluss noch einen kleinen, bebilderten (Rück-)Blick auf die aufregendsten Ereignisse im Jahr 2017.
Ein Bild vom „Auswanderungs-Flug“ nach New York – ich werde nie vergessen wie traurig und zugleich freudig-gespannt ich war.
Mein Lieblingsthema: Wir erlebten den längsten, heißesten und sonnigsten Sommer unseres Lebens.
An meinem Geburtstag übernahm meine Nachbarin die Nestlinge und wir konnten halbwegs entspannt essen gehen. Dieses Bild steht aber auch dafür, dass wir als Paar nicht gescheitert, sondern einen ziemlich steinigen Weg Hand in Hand gegangen sind.
Ein emotionaler Tag für das Mädchen und mich – die Einschulung in eine amerikanische Grundschule.
Mein erster amerikanischer Haarschnitt.
Für großen Wirbel und 12 fantastische Tage sorgte der Besuch der Großeltern (Thomas‘ Eltern). Unser erster Besuch aus Deutschland.
In Deutschland nie wirklich beachtet, aber hier groß gefeiert: Halloween.
Unser „big boy“ feierte seinen dritten Geburtstag – auf seinen Wunsch hin wieder mit einem Baggerkuchen.
Der erste Blizzard unseres Lebens.
Das erste Weihnachten in Amerika und nur zu viert. Heiligabend fuhren wir im „Polarexpress“ zum Nordpol und den ersten Weihnachtstag feierten wir mit unseren Nachbarn. All das war unvergesslich schön.
Und noch ein Blog-Lichtblick: Nachdem ich monatelang kaum noch gebloggt hatte, machte mein Herz einen Freudensprung, als ich bei Google Analytics sah, dass sich immer noch über 100.000 Leser pro Monat auf meiner Seite verirren. Die Statistiken hatte ich bewusst vernachlässigt und das Schlimmste befürchtet, aber diese tollen Zahlen geben mir einen kräftigen Schub, dieses Jahr weiter zu machen.
Schlussgedanke
In den letzten Monaten kam ich erneut zu der Erkenntnis, dass die Abschnitte in meinem Leben, die mir am meisten Angst und Sorge bereiten, die mich an meine Grenzen bringen und extrem herausfordernd, genau die sind, an denen ich letztendlich am meisten wachse. Das trifft auf die Geburten der Nestlinge zu, aber auch auf unsere Auswanderung nach New York.
Wenn ich heute mit Thomas auf der Couch sitze und unsere Zeit hier Revue passieren lasse, durchflutet mich ein ganz starkes, positives Gefühl. Nicht einmal dachte ich: „So ein Mist, was machen wir bloß hier?“ Ich hatte nie das Bedürfnis alles hinzuschmeißen und zurück nach Deutschland zu fliegen. Ganz im Gegenteil wuchs mit jedem Tag die Zuversicht, dass wir das hier gut hinbekommen werden, egal wie blöd manche Tage auch verlaufen.
Wir sind als Familie enorm zusammengewachsen und wir haben etwas ganz Großes gemeinsam gemeistert. Nicht nur, dass jeder für sich seinen Horizont erweitert und immens viel dazu gelernt hat, was an sich schon Grund genug ist, um mächtig stolz zu sein. Wir wissen nun auch wie sich Ausnahmesituationen anfühlen und dass wir in der Lage sind, diese zusammen zu meistern. Das schweißt nicht nur zusammen, sondern macht selbstbewusst und stark. Und zwar jeden einzelnen von uns.
Ich glaube nicht, dass Larchmont unsere „Final Destination“ ist. Irgendwie sagt mein Gefühl, dass wir noch nicht endgültig angekommen sind. Trotzdem habe ich im Herbst 2017 bei der „Greencard-Lottery“ mitgespielt, denn ein paar weitere Jahre in New York kann ich mir gut vorstellen.
Einen großen Schritt ins Unbekannte zu wagen und unser sicheres Nest zu verlassen, war eine der besten Entscheidungen, die wir als Familie treffen konnten. Ich bin froh, dass wir den Mut dazu hatten. Dankbar und glücklich.