Beikost und Allergien

Kathrin Beikost 24 Kommentare

Noch vor einigen Jahren empfahlen Ernährungsexperten potenziell allergene Nahrungsmittel am besten erst nach dem ersten Geburtstag einzuführen – heute gilt genau das Gegenteil. Kinder bauen selbst Verträglichkeiten auf, wenn sie bestimmte Lebensmittel (Weizen, Gluten allgemein, Fisch, Ei) probieren dürfen – die Entwicklung von Allergien wird so weniger wahrscheinlich (siehe auch „Stillen, Beikost und Allergievorbeugung“).

Wie es zu diesem Umdenken kam, was es mit Allergien auf sich hat und worauf es schließlich beim Beikoststart ankommt, beleuchtete Dr. Herbert Renz-Polster (Autor von Kinder verstehen) in seinem spannenden Vortrag „Beikost und Allergien“ auf dem Stillkongress in Köln (April 2014).

Erst durch seine Ausführungen verstand ich verschiedene körperliche Mechanismen und Zusammenhänge. Beispielsweise wie eine natürliche Geburt und das Stillen den Aufbau einer gesunden Darmflora begünstigen, welche wiederum eine entscheidende Rolle bei der Immunabwehr und somit auch bei der Allergieprävention spielt.

In diesem Artikel findet ihr nun die wichtigsten Punkte des Vortrags von Dr. Herbert Renz-Polster und somit eine Orientierung, was es bei der der Einführung der Beikost zu beachten gilt.

Was verursacht Allergien?

Das Grundübel von Allergien ist die natürliche Entzündungsbereitschaft des menschlichen Körpers. Entzündungen sind eine lebenswichtige Reaktion unseres Immunsystems auf Krankheitserreger oder andere körperfremde, schädigende Stoffe. Bei einer Allergie allerdings reagiert das Immunsystem überempfindlich – nämlich auf Stoffe, die eigentlich gar keine Gefahr für den Organismus darstellen.

Der menschliche Körper ist von Beginn an in der Lage, auf Schädigungen von außen mit Entzündungen zu reagieren. Doch diese zu dämpfen – das muss er erst lernen. Renz-Polster bezeichnete Allergien als einen „Entzündungsdämpfungsdefekt“. Der Körper ist nicht fähig sich angemessen zu verhalten – es erfolgt eine übersteigerte (unnötige) Reaktion auf harmlose Stoffe, die uns schließlich krank macht (siehe auch „Allergien“).

Warum gibt es heute mehr Allergien denn je?

In diesem Zusammenhang wies Renz-Polster auf die starke Zunahme allergischer Erkrankungen in den letzten 50 Jahren hin. Was hatte sich in dieser Zeit verändert? Was hat unser Immunsystem durcheinander gebracht?

Hygiene Hypothese

Renz-Polster erklärte zunächst, dass unsere veränderten Lebensbedingungen eine Rolle spielen. Beobachtungen rund um die Welt zeigten, dass Kinder, die im regelmäßigen Kontakt mit verschiedenen Bakterien, Parasiten und Viren leben (beispielsweise in Großfamilien auf Bauernhöfen mit Tierhaltung), deutlich seltener von allergischen Erkrankungen betroffen sind.

Die verbesserten hygienischen Bedingungen in den zivilisierten Ländern sorgten zwar für den erhofften Rückgang von Infektionskrankheiten, gleichzeitig führte die übertriebene Sauberkeit jedoch zu einem Anstieg von Allergien. Denn das Immunsystem benötigt den regelmäßigen Kontakt zur belebten Umwelt – auch zu Krankheitserregern, damit es lernen kann, angemessen auf diese zu reagieren. Fehlen diese Bakterien und Keime ist „das Immunsystem unterfordert und richtet sich gegen unser eigenes Gewebe oder andere, eigentlich harmlose Stoffe, wie Pollen und Nahrungsmittel“ (siehe „Hygiene-Hypothese„).

Die Rolle der Darmflora

An dieser Stelle bemerkte Renz-Polster, dass über 90%  der Zellen in unserem Körper Bakterien sind – wir sind demnach eine Ansammlung an Mikroben (siehe auch „Mikroben-Inventur„). Erstaunlich. Die meisten Bakterien befinden sich auf der Haut und im Darm. Vor allem die Darmbakterien beeinflussen viele, lebenswichtige Abläufe in unserem Körper, unter anderem die Abwehr unerwünschter Mikroorganismen und somit die Aufrechterhaltung eines intakten Immunsystems.

Tierexperimentelle Untersuchungen zeigten, dass Darmbakterien eine Schlüsselrolle in der Prävention von allergischen Krankheiten spielen. Neugeborene Mäusebabys entwickelten eine allergische Reaktionsbereitschaft, nachdem ihnen die Darmbakterien entzogen wurden. Diese ging zurück, als die Mäuse mittels Injektion wieder mit Darmbakterien versorgt wurden. Übertragen auf den Menschen vermutet man heute, dass eine intakte Darmflora Allergien und Infektionen vorbeugen, beziehungsweise lindern kann.

Rolle der Geburtsmethode

Was ich nicht wusste, war die Tatsache, dass die Darmflora nicht angeboren ist, sondern erst nach der Geburt entsteht. Der Darm eines Babys ist im Mutterleib nahezu steril, erst nach der Geburt erfolgt eine Besiedelung mit einer Vielzahl an Bakterien. Bei einer natürlichen Geburt nimmt das Baby während des Geburtsvorganges die ersten Mikroorganismen im Vaginaltrakt auf. Im Laufe der ersten Lebenswochen findet dann ein explosionsartiger Aufbau der individuellen Darmflora auf Basis der vaginalen Bakterienstämme der Mutter statt.

Bei einer Kaiserschnittgeburt fehlt dieser erste wichtige Kontakt mit den mütterlichen Keimen des Geburtskanals – Kaiserschnittbabys nehmen ihre ersten Bakterien über die Haut (der Mutter, des Vaters, des Arztes…) bzw. die Oberflächen des Krankenhausumfeldes auf. Diese Bakterien unterscheiden sich nicht nur in ihrer Art von den Vaginalbakterien, sie scheinen auch weniger effektiv zu sein, was die Immunabwehr anbelangt: „Kinder, die durch Kaiserschnitt zur Welt kommen, haben ein erhöhtes Risiko, an Allergien zu erkranken“ (siehe „Kaiserschnitt: Weniger nützliche Darmkeime und gestörte Immunfunktion„.

Um diese Anfälligkeit zu vermeiden, gäbe es Hebammen, die Kaiserschnittbabys nach der Geburt per orale Injektion eine „Ladung“ Vaginalbakterien verpassten, fügt Renz-Polster hinzu. Eine Methode, die in Anbetracht der Fakten durchaus sinnvoll erscheint, sich aber in der Krankenhauspraxis sicherlich nicht durchsetzen wird.

Die Rolle der Muttermilch

Unabhängig vom Geburtsweg sorgt nach der Geburt die Muttermilch für den weiteren Aufbau der Darmflora. „Muttermilch enthält beispielsweise Immunglobuline (Antikörper), die die unreifen Darmschleimhäute des Neugeborenen überziehen und so verhindern, dass sich unerwünschte Bakterien, Viren, Parasiten und andere Krankheitserreger einnisten.[1] Zusätzlich werden über das Stillen „positive“ Keime und Bakterien – unter anderem Bifidobakterien – ausgetauscht. Die Darmflora von gestillten Säuglingen besteht zu 90% aus Bifidobakterien – die häufigsten und nützlichsten Siedler des menschlichen Verdauungstraktes. Sie regulieren beispielsweise die Antikörperproduktion und scheinen vor Verdauungsproblemen und Blähungen zu schützen (siehe „Bifidobakterien“). Die Muttermilch enthält außerdem Laktose (Milchzucker) in hoher Konzentration, die wiederum die Besiedlung des Darms mit Bifidobakterien unterstützt.[2] 

Es sind also viele Komponente in der Muttermilch (ich nannte nur einen Bruchteil), die die Darmflora und somit das Immunsystem eines Babys positiv beeinflussen. Die immunregulierenden Substanzen sind dabei immer exakt auf die individuellen Bedürfnisse des Babys zugeschnitten, d.h. „die Zusammensetzung der Muttermilch variiert nicht nur von Frau zu Frau; auch bei derselben Frau variiert sie in beiden Brüsten, von Mahlzeit zu Mahlzeit und selbst während eines einzelnen Stillvorgangs sowie im Verlauf der gesamten Laktation.“[3]

Der Nachteil von künstlicher Säuglingsmilch

Ausschließlich mit industriell hergestellter Säuglingsmilch ernährte Babys weisen weit geringere Anteile von Bifidobakterien (und anderen positiven Bakterien) auf. Dafür enthält ihre Darmflora mehr pathogene (krankheitserregende) Mikroben.[4] Bei mit Muttermilch gestillten Säuglingen bietet der Aufbau der Darmflora also einen besseren Schutz vor Infektionen als bei Säuglingen, die mit Kunstmilch ernährt wurden“ (siehe „Beim Kleinkind gilt: Die Milch macht’s„).

„Das Stillen bleibt demnach die einzige Gelegenheit unseres Lebens, den Darm mit einer gesunden Bakterienmixtur zu besiedeln und so eine wichtige Basis für eine gesunde Zukunft zu legen.“[5]

Beikosteinführung damals

Aber nun zum Hauptthema – der Beikost. Die natürliche Geburt und das Stillen begünstigen eine gesunde Darmflora, doch wie geht es zum Zeitpunkt der Beikosteinführung weiter? Um diese Frage zu beantworten wies Renz-Polster darauf hin, dass das Beifüttern in der Vergangenheit unter bestimmten Bedingungen stattfand:

1. Muttermilch – weiterhin der Sockel des Kindes

Beikosteinführung bedeutete nicht (so wie heute oft üblich) das Ende der Stillzeit, denn feste Nahrung war nicht überall und jederzeit vorhanden. „Die Mutterbrust war unter den jahreszeitlich schwankenden Ernährungsbedingungen […] weiterhin die Nahrungsquelle schlechthin.“[6]

Gleichzeitig wurden schon recht früh kleine Mengen an Beikost verfüttert, denn jeder Zuschlag, der die Mutter entlastete, war willkommen  – allerdings ohne, dass dadurch die Stillhäufigkeit merklich absank.[7] Dass Babys in der Lage sind kleine Portionen fester Nahrung (eine Handvoll) zu verdauen, zeigten Untersuchungen der Muttermilch. Sie enthält Amylase – ein zum Abbau von Stärke notwendiges Enzym, obwohl in der Muttermilch selbst keine Stärke vorhanden ist. Muttermilch hilft gestillten Babys demnach, stärkehaltige Nahrung zu verdauen.

2. Beikost aus dem natürlichen Nahrungsumfeld

Babys bekamen, was Felder und Wiesen entsprechend der Jahreszeit hergaben. In der Regel erhielt das Kind so, was ihm und seinem Immunsystem bereits bekannt war. Durch die Nahrungsmittelspuren in Mutterleib und Muttermilch lernt das Baby allmählich zahlreiche Lebensmittel und ihre Geschmäcker kennen – Abwehreaktionen im Beikostalter sind so kaum zu erwarten.

3. Jahreszeitliche extreme Schwankungen

„Für ein im Winter geborenes Kind sah das „Beikost-Schema“ völlig anders aus als für ein im Sommer geborenes – aus evolutionärer Sicht gibt es als Beikost also weder für jedes Kind das „beste“ Nahrungsmittel noch einen genauen Fahrplan. Viel wichtiger scheint zu sein, dass dem Baby die neu eingeführten Nahrungsmittel bereits von der im Fruchtwasser und der Muttermilch abgebildeten Speisekarte vertraut sind.“[8]

Beikosteinführung heute

Was bedeuten all diese Erkenntnisse und Beobachtungen für unsere Babys?

1. Wann Beikost einführen?

Die Entscheidung darüber, wann mit der Fütterung von Beikost zu beginnen ist, kann nicht ausschließlich vom Alter des Kindes oder den Vorstellungen der Eltern abhängig gemacht werden. Es schadet nicht einen Blick auf das Kind zu werfen: Zeigt es Interesse am Essen? Kann es überhaupt etwas mit fester Nahrung anfangen? (siehe auch „Beikost für Stillkinder“)

Die Weltgesundheitsorganisation WHO empfiehlt sechs Monate ausschließlich (=voll) zu stillen, es ist jedoch nicht nötig ein am Essen interessiertes Kind vehement von fester Nahrung abzuhalten. „Es gibt keinen Hinweis, dass die Einführung von kleinen Mengen (eine Handvoll) an Beikost vor dem fünften Monat unter Beibehaltung des Stillens nachteilig wäre.“[9] Denn Muttermilch unterstützt, wie bereits erwähnt (siehe oben Stichwort „Amylase“), die Verdauung von kleinen Portionen stärkehaltiger Kost.

Etwa ab dem sechsten Monat produziert die Bauchspeicheldrüse des Babys dann selbst Amylase, das entspricht auch dem Zeitpunkt, zu dem die meisten Kinder die körperlichen Voraussetzungen für die Aufnahme von größeren Mengen an halbfester oder fester Nahrung erlangen.

2. Wie lange Stillen?

Das Abstillen vor dem sechsten Monat ist nicht empfehlenswert, da es mit gesundheitlichen Nachteilen verbunden ist. „So ist beispielsweise bekannt, dass das frühe Zufüttern von glutenhaltiger Nahrung bei manchen entsprechend vorbelasteten Kindern das Risiko für die Entwicklung einer Zöliakie erhöht. Wird das Baby jedoch noch gestillt, während die glutenhaltige Kost eingeführt wird, so liegt kein erhöhtes Risiko vor.“[10]

„Gestillte Babys verdauen feste Nahrung besser und schneller als mit der Flasche gefuetterte Babys, da die Muttermilch Enzyme enthaelt, die die Verdauung von Fetten, Proteinen und Kolehydraten unterstützt (siehe „Die Beikost„). Deswegen ist das schnelle und frühe Ersetzen von Muttermilchmahlzeiten durch Mahlzeiten mit fester Nahrung ebenfalls nicht empfehlenswert.

Die WHO empfiehlt bis zum zweiten Geburtstag weiter zu stillen, bzw. darüber hinaus, solange Mutter und Kind dies wünschen. Eine durchaus sinnvolle und bedeutsame Empfehlung, auch in Hinsicht auf die Allergieprävention.

3. Mit welchen Nahrungsmitteln starten?

Renz-Polsters Blick in die Vergangenheit (siehe oben „Beikost damals“) zeigt, dass es nicht das eine richtige Nahrungsmittel für den Beikoststart geben kann. Wichtig ist es auf „natürlich“ vorkommende Nahrungsmittel (z.B. echtes Obst und Gemüse statt Konserven) zurückzugreifen und eine ausgeglichene und gesunde Auswahl anzubieten.

4. Welche Nahrungsmittel vermeiden?

Es gibt keinen Grund Nahrungsmittel, die Allergien auslösen könnten vom Speiseplan zu streichen und somit kommen Babys in den Genuss von vielen hochwertigen, nährstoffhaltigen Lebensmitteln. „Erlaubt ist fast alles: Fisch, Ei, gemahlene Nüsse, glutenhaltiges Getreide, all das darf in kleinen Mengen ab dem 5. Lebensmonat eingeführt werden. […]

Weiterhin vermieden werden sollte jedoch zu viel Salz/ Zucker, Honig, rohe Eier, rohes Fleisch und roher Fisch, jedoch nichts davon aus Allergiegründen“ (siehe „Stillen, Beikost und Allergievorbeugung“).

Das Wichtigste in Kürze

Am Ende seines Vortrages betonte Herbert Renz-Polster noch einmal die zwei allerwichtigsten Punkte bei der Beikosteinführung:

1. Beikost ja, wenn das Kind es will
(Kann im fünften Monat sein oder erst im achten Monat.)

2. Weiterhin stillen

In diesem Sinne frohes Beikosten

Eure Kathrin 🙂



Footnotes    (↵ returns to text)

  1. Akré, James: Physiologischen Grundlagen der Säuglingsernährung (1998), S. 26.
  2. Akré, James: Physiologischen Grundlagen der Säuglingsernährung (1998), S. 29.
  3. Akré, James: Physiologischen Grundlagen der Säuglingsernährung (1998), S. 26.
  4.  Stillzeit: „Zufüttern des gestillten Kindes: Nur eine einzige Flasche wird nicht schaden – oder doch“ (Ausgabe 2/ 2004), S. 20.
  5. Wirbelwind: „Die Gesundheit beginnt im Darm“ (Ausgabe 5/2013), S. 20.
  6.  Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen (2012), S. 85.
  7.  Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen (2012), S. 86.
  8.  Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen (2012), S. 86.
  9.  Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen (2012), S. 85.
  10.  Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen (2012), S. 85.
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