Kindergarten U3 – Teil 3: Die Einrichtung, die Rahmenbedingungen und das fehlgeschlagene Eingewöhnen

Kathrin Erfahrungen 9 Kommentare

Wie wir den Kindergarten gefunden haben? Ganz ehrlich? Wir haben Marie (Name geändert), unsere Erzieherin, zufällig im Geburtsvorbereitungskurs kennengelernt. Ihr Sohn ist etwas jünger als unser Mädchen und nachdem sich zwischen uns durch regelmäßige Treffen eine gute Freundschaft entwickelt hat, ermunterte sie mich, mich in dem Kindergarten zu bewerben, in dem sie nach dem Elternjahr wieder arbeiten würde. Ich fand die Idee grandios, weil sie eine der wenigen Menschen ist, zu denen sich unser Mädchen freiwillig auf den Schoß setzt. Gesagt, getan, geklappt.

Der Kindergarten

Der Bereich für die Kinder unter drei Jahren ist ein nigelnagelneuer Anbau, der direkt mit dem Hauptgebäude, in dem unterschiedliche Altergruppen betreut werden, verbunden ist. Es gibt ein schönes, abgegrenztes Außengelände mit großer Grünfläche, einen hellen Gruppenraum, separate Schlafmöglichkeiten für die Kleinen und einen „Sportraum“ mit verschiedenen Hindernissen zum Austoben. Die Kinder werden auf unterschiedlichste Weise gefördert, erhalten aber auch genügend Freiraum, um alleine zu spielen. Alles wirklich toll.

Die Rahmenbedingungen

Wir konnten zwischen einer Betreuungszeit von 35 oder 45 Stunden pro Woche wählen. Beides recht lang für ein Kind unter 2 Jahren. Wir wählten 35 Stunden mit dem Gedanken, sie auf keinen Fall solange da zu lassen, vor allen Dingen in den ersten Wochen nicht.

Der Personalschlüssel schien perfekt: drei freundliche, junge Frauen kümmern sich um eine Gruppe von 10 Kindern zwischen 12 Monaten und 2 Jahren, dabei wird jedem Kind eine konkrete Betreuerin zugeteilt. Außerdem gibt es eine sogenannte Springerkraft, die gerufen wird, wenn es einen Engpass gibt. Die Erzieher sind bemüht auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen und ihren individuellen Rhythmus zu berücksichtigen. Schläft ein Kind z.B. nicht im Liegen ein, wird es mit dem Kinderwagen herum gefahren, bis es sich beruhigt.

Obwohl für so kleine Kinder eine verlässlich verfügbare Bezugsperson, die flexibel auf die Bedürfnisse der Kinder und ihren individuellen Rhythmus eingehen kann, sehr wichtig ist, fällt es schwer dies im Kindergartenalltag immer zu ermöglichen.[1] Isst ein Kind, wollen alle essen. Fährt eine Betreuerin mit dem Kinderwagen durch die Gegend, fehlt in dieser (manchmal recht langen Zeit) eine Kraft. Es gibt Stoßzeiten zu denen viele Kinder müde und/ oder hungrig werden. Ein Kompromiss muss her und den können Kleinkinder, wenn sie hungrig oder müde sind, nur schwer eingehen. Zudem fehlen die Erzieher als Bezugsperson, wenn sie Feierabend haben (Marie hat z.B. nur eine 30-Stunden-Woche) oder im Urlaub bzw. krank sind. Meine Kritik richtet sich hierbei nicht an die Einrichtung, ich finde es ganz im Gegenteil enorm für so ein kleines Geld, eine derartig intensive Betreuung zu erhalten.[2] Ich weise lediglich darauf hin, dass Rahmenbedingungen, die in der Theorie gut klingen, in der praktischen Umsetzung erst ihre Probleme zeigen.

Das Berliner Eingewöhnungsmodell

Früher in der DDR (und in manchen Einrichtungen auch heute noch) wurde aus der Eingewöhnung ein kurzer Prozess gemacht: Tür auf, Kind rein, Mama weg, Tür zu. Der zum Teil starke Protest der Kinder flachte oft erst nach einigen Tagen ab. Obwohl sich letzendlich alle irgendwie daran gewöhnt haben, weiß man heute, dass solche Hauruck Verfahren Kinder stark belasten und ihre
Entwicklung negativ beeinflussen können (siehe Kindergarten U3 – Teil 2).[3] Aus diesem Grunde distanzieren sich Kindergärten zunehmend von solch schonungslosen Abläufen und bieten sanftere Methoden, wie das Berliner Eingewöhnungsmodell.

Auch unser Kindergarten arbeitet nach dem Berliner Modell. Dieses empfiehlt drei gemeinsame Tage mit einem Elternteil und der Erzieherin in der Gruppe und einen ersten kurzen Trennungsversuch am vierten Tag. Läuft es gut, werden die Trennungsabschnitte immer größer, läuft es weniger gut, wird das Elternteil wieder in den Gruppenraum geholt, bis das Kind die Bereitschaft für einen nächsten Trennungsversuch zeigt. Die Eingewöhnung richtet sich ganz nach dem Tempo des Kindes, sollte es allerdings nach 3 Wochen immer noch große Probleme haben sich von den Eltern zu lösen und lässt sich nicht von der Erzieherin beruhigen, „ist gemeinsam mit den Eltern zu überlegen, ob eine Fremdbetreuung in der Kindertagesstätte zu diesem Zeitpunkt für das Kind geeignet ist.“[4]

Die Eingewöhnung – ein Hin und Her

Es ist geschickter, wenn eine Person die Eingewöhnung übernimmt. In unserem Fall war das jedoch nicht ohne weiteres möglich. Die Eingewöhnung unseres Mädchens startete am 03. September 2012 und Thomas sollte sie begleiten, da es ihr etwas leichter fällt, sich von ihm zu trennen als von mir. Die Eingewöhnung fand eigentlich immer 10 Uhr statt, außer mittwochs, da arbeitet Marie erst ab 14 Uhr. Mittwochs an den Nachmittagen und donnerstags an den Vormittagen muss Thomas allerdings immer arbeiten. D.h. in den ersten beiden Eingewöhnungswochen brachte Thomas sie Montag, Dienstag und Freitag in den Kindergarten und ich übernahm Mittwoch und Donnerstag. Ein schönes Durcheinander!

Während unser Mädchen es am 3. Tag mit Papa bereits schaffte, fast eine halbe Stunde lang in der Gruppe ohne ihn zu spielen, durfte ich ihr am Mittwoch nicht mehr als wenige Minuten von der Seite weichen. Unser erster Trennungsversuch am Donnerstag in der ersten Woche ging total daneben, aufgrund eines Missverständnisses. Marie forderte mich auf hinauszugehen und ich verstand, sie würde mir Bescheid sagen, wenn die Trennungszeit vorbei ist. In Wirklichkeit sollte ich unserem Mädchen Bescheid sagen, dass ich den Raum verlasse. Ach, herrje! Ich wunderte mich, dass Marie mich von jetzt auf gleich hinaus schickte, obwohl unser Mädchen doch die Tür, durch die ich verschwinden sollte, voll im Blick hatte. Sie schlug unverzüglich Alarmstufe rot an, da hatte ich noch nicht einmal die Klinke in der Hand. Sie schrie und weinte, also blieb ich bei ihr.

Freitag, Montag und Dienstag war Thomas wieder dran. Unser Mädchen schaffte es erneut sich von Thomas zu lösen und mit Marie alleine in der Gruppe zu spielen. Mittwoch brachte ich sie hin, ich blieb eine Weile und dann sollte ich hinausgehen. Ich winkte ihr, verabschiedete mich diesmal und sah dabei das Entsetzen in ihren Augen. Sie weinte augenblicklich los, als ginge es um ihr Leben. Völlig verstört, begab ich mich vor die Tür und schlug meine Zeitung auf. Mich auf das Lesen zu konzentrieren, während ich durch die verschlossene Tür immer wieder die Schreie unseres Mädchens hörte – unmöglich! Die Tür öffnet sich, das Schreien wurde einen Augenblick lang lauter und Tanja (Name ebenfalls geändert), eine andere Erzieherin, bat mich am Ende des Ganges, hinter einer weiteren verschlossenen Tür Platz zu nehmen. Widerwillig setzte ich mich in den Vorraum, starrte auf die Zeitanzeige meines Telefons und wartete wie auf glühenden Kohlen: Wenn unser Mädchen so schreit, lässt sie sich – selbst von mir – nur schwer beruhigen. Aber ich musste Vertrauen haben, was blieb mir übrig. Nach insgesamt sieben langen Minuten wurden wir erlöst: Marie brachte mir das schreiende Kind, ihr Gesicht übersät mit Pusteln vom Weinen. Ich nahm sie in die Arme und sie beruhigte sich allmählich wieder. Vielleicht bin ich ein Weichei, aber ihr Anblick machte mich wirklich traurig!

Donnerstag fuhren wir wieder hin und nun bewachte unser Mädchen mich mit Argusaugen. Marie hatte keine Chance ihre Aufmerksamkeit zu erhaschen, denn ihr schwante offensichtlich Böses. Ich blieb im Gruppenraum mit ihr und wir spielten ein Stündchen ohne Trennungsversuch.

Freitag war Thomas wieder an der Reihe. Marie bat ihn hinauszugehen und das Szenario von Mittwoch wiederholte sich. Unser Mädchen schrie, noch bevor Thomas den Raum verlassen hatte und obwohl er nicht gehen wollte, harrte er vor verschlossener Tür aus. Nach zwei Minuten wurde zum Glück abgebrochen.

Berliner Modell – eine misslungene Umsetzung

Die Reaktion unseres Mädchens am letzten Tag hat mich überrascht. Waren es zu viele negative Trennungsversuche? Hatte sie nun nach zwei Wochen bereits die Verknüpfung „Kindergarten = Mama & Papa lassen mich alleine“ hergestellt? Haben sie die wechselnden Zeiten und der Wechsel von Mama und Papa zu sehr irritiert? Hat sie ein anderes Problem und ist deswegen anhänglicher? Oder ist sie einfach noch nicht bereit für eine Trennung, egal wie schonend sie vollzogen wird?

Nur eines ist sonnenklar: Ihr ging es gar nicht gut! Ihr Blick während der letzten beiden Trennungsversuche verriet uns unmissverständlich, dass etwas für sie gewaltig nicht stimmte. Leider habe ich erst nach der Eingewöhnung gelesen, dass ein Trennungsversuch sofort beendet werden muss, wenn das Kind untröstlich weint. Wir – und damit meine ich auch die Erzieher – haben unser Mädchen folglich viel zu lange und zu intensiv leiden lassen. Es hätte nicht so weit gehen dürfen!

Die Erzieher tendierten leider dazu die emotionelle Schwere der Situation zu relativieren. Thomas und ich hingegen spürten, dass es unserem Mädchen an die Nieren ging. Wir versuchen stets ihre „nonverbalen Botschaften zu lesen und sie respektvoll zu interpretieren, ohne ihr boshafte Absichten zu unterstellen, denn unsere Erfahrung hat gezeigt, dass sie nur protestiert, wenn sie einen Grund hat. [5] Einen Grund für ihre Anhänglichkeit am Freitag haben wir gestern gefunden: ein neuer Backenzahn blitzte uns entgegen! Zähne machen ihr immer schwer zu schaffen, in der Nacht wie am Tage…

Ende schlecht, alles schlecht?

Noch bevor wir die Ergebnisse der Eingewöhnungswochen so richtig verdauen konnten, gab es einen Anruf von Marie: „Es wäre gut, wenn wir Montagnachmittag 14.30 Uhr kommen könnten, um den weiteren Verlauf der Eingewöhnung zu besprechen.“ Sie klang sehr sachlich, fast kühl – das hatte seine Wirkung! Ich fühle mich, als wenn ich zu einer Elternsprechstunde muss, weil meine Tochter eine fünf nach der anderen kassiert hat. Ich bin sehr gespannt, welche Vorschläge auf uns warten!

 

Footnotes    (↵ returns to text)

  1. Renz-Polster, Herbert: Kinder verstehen, S. 310.
  2. Die Betreuung eines Kindes unter 2 Jahren (35Stunden/ Woche) kostet in Krefeld bei einer Einkommensgrenze von 30.700 € gerade einmal 56 € pro Monat! Das heißt umgerechnet 40 Cent pro Stunde! http://www.krefeld.de/C12574810046D581/html/DC903698E1322168C12574A6003078AA?opendocument 
  3. Bauer, Marlen; Klamer, Katharina; Veit, Melanie: „So gelingt der Start in den Kindergarten“ Bindungsorientierte Eingewöhnung. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1985.pdf
  4. Bauer, Marlen; Klamer, Katharina; Veit, Melanie: „So gelingt der Start in den Kindergarten“ Bindungsorientierte Eingewöhnung. http://www.kindergartenpaedagogik.de/1985.pdf
  5. Humer-Tischler, Brigitte: „Beziehungen leben“ in Wirbelwind (Nr. 3, Mai/ Juni 2007).
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