Mit Gelassenheit durch den Meinungsdschungel

Kathrin Gastartikel 2 Kommentare

Mütter begeben sich vor allem im Internet gerne in ideologische Grabenkämpfe und dabei gehen sie zumindest verbal nicht gerade zimperlich miteinander um. Autorin Jana König griff dieses Thema in ihrem Buch „Wenn Mütter rot sehen – Der tägliche Wahnsinn der Mommy Wars“ und in diesem Gastartikel auf. Ihr Fazit: „Entspannt euch! Denn viele Wege führen zum glücklichen Kind.“

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Jana König

Viel Spaß beim Lesen!

Eure Kathrin

Als ich mit meiner Tochter schwanger war, ging es mir wie wohl vielen anderen auch: Mich plagten jede Menge Fragen und Unsicherheiten, und je mehr ich mich mit dem Thema beschäftigte, desto mehr davon tauchten auf. Andererseits hatte ich auch schon eine Meinung: Meine Schwester war vor mir Mama geworden und im ersten Jahr fast rund um die Uhr mit ihrem Kind beschäftigt. Unsere Mutter hatte dafür wenig Verständnis. Und ich gab ihr insgeheim recht – klar, heute ist man bemüht, mehr auf die Bedürfnisse eines Säuglings einzugehen als vor dreißig Jahren, aber nonstop? Da konnte doch was nicht stimmen, irgendwas machte sie falsch! Mir würde das bestimmt nicht passieren.

Alles im Griff? Von wegen!

Tja, und da war ich, noch bevor ich selbst Mutter wurde, mitten reingetappt in die Mommy-Wars-Falle: Ich hatte mir über eine andere Mutter ein vernichtendes Urteil erlaubt, weil irgendwas an ihrem Verhalten nicht meinen Vorstellungen entsprach – obwohl ich ihre Situation gar nicht so genau kannte (uns trennen leider über vierhundert Kilometer Luftlinie). Was habe ich mir alles zu tun vorgenommen in der Elternzeit! Wenn das Kind friedlich im Bettchen schlummert, sich selig allein beschäftigt oder meinethalben auch, wenn es sich im Tragetuch an mich kuschelt. Davon ist herzlich wenig Realität geworden, denn ebenjene hat meine Vorstellungen ganz schön durcheinandergewirbelt.

Meine Tochter war und ist ein absolutes Körperkontaktkind. Als Säugling kam sie nur im Tragetuch oder auf ihren Eltern zur Ruhe. Und so verbrachte ich ziemlich viel Zeit an die Couch gefesselt, nur eine Hand frei. Auch das hat mich verunsichert: Machen wir jetzt etwas falsch? Ist etwas mit unserem Kind nicht in Ordnung? Unsere Situation war typisch für die moderne Gesellschaft: Erfahrungen mit Babys in der Familie, zum Beispiel mit kleinen Geschwistern, Cousins, Nichten, Neffen, Patenkindern? Fehlanzeige. Eltern als Unterstützung in der Nähe? Fehlanzeige. Und selbst wenn; die Ansichten, was ein Baby braucht, haben sich seit ihrer Zeit ziemlich gewandelt, das weiß oder ahnt man auch, wenn man nicht ganz so tief in die Materie kindliche Bedürfnisse einsteigt.

Auf der Suche nach Durchblick

Also ging ich nun erst recht auf die Suche nach »sachkundigen« Antworten. Nachdem ich zuvor eher Ratgeber und Überblicksbücher gelesen hatte, die vieles aber nur anreißen oder schon eine eigene »Erziehungsideologie« verfechten, wühlte ich mich jetzt durch das Internet, durch diverse Fachseiten, Blogs und Foren. Ich fand viele Erfahrungsberichte und nützliche Ratschläge, aber auch: bitteren Zorn, gegenseitige Vorhaltungen, Angriffe weit unter der emotionalen Gürtellinie. Das war erschütternd, manchmal sogar unfreiwillig komisch, weil manche den Boden halbwegs sachlicher Argumentation derart weit verlassen, dass es schon nach Verschwörungstheorien klingt (unter uns: manchmal habe ich nur weitergelesen, um zu sehen, zu welchen Absurditäten sich die Beteiligten noch hochschaukeln). Es brachte mich aber auch zum Nachdenken – über mein eigenes Verhalten zum Beispiel. Mal ehrlich, wer denkt denn nicht manchmal auf dem Spielplatz oder wo auch immer über ein anderes Elternteil: »Mensch, musste das jetzt sein? Das arme Kind!« Von Angesicht zu Angesicht geht es zwar nicht so heftig zu wie unter dem Schutz der Internet-Anonymität, aber schiefe Blicke und die ein oder andere verbale Spitze, die erlebt man in der Krabbelgruppe oder beim PEKiP durchaus auch.

Dabei kennen wir den Kontext der Situationen oft gar nicht, über die wir uns echauffieren. Und selbst wenn wir ihn kennen würden: Jede Beziehung zwischen zwei Menschen ist einzigartig, jede Paarung kommuniziert mit ganz bestimmten Nuancen, die nur die beiden einzuordnen wissen. Sich ein Urteil über andere zu erlauben ist fast immer vermessen (Straftatbestände ausgenommen, klar).

Trotzdem machen sich Eltern oft gegenseitig Vorwürfe: Ein Kind darf zu viel fernsehen, das andere bekommt die falsche Beikost, das dritte wird nicht liebevoll genug in den Schlaf begleitet, das vierte ist zu laut. Lästern ist ja einerseits eine »gesunde« Technik der sozialen Selbstvergewisserung, des Normenabgleichs zwischen denen, die da miteinander lästern. Aber halbwegs produktiv ist das nur, solange der Gescholtene es nicht wirklich abbekommt. Unter streitenden Müttern, die man in jedem Forum findet, passiert aber genau das: Mütter machen einander lautstark Vorhaltungen, was bei den anderen angeblich alles falsch läuft, was sie ihren Kindern antun – obwohl jede ihr Bestes gibt. Und ich glaube, Verunsicherung ist ein ganz maßgeblicher Faktor, warum das so ist. Wenn jemand etwas anders macht als man selbst, empfinden das viele als Angriff und fühlen sich genötigt, dagegenzuhalten.

Mehr Gelassenheit für mehr Lebensfreude

Aber muss das sein? Wir sind alle Individuen, unsere Kinder sind es auch. Jeder Mensch hat eine eigene Geschichte, einen eigenen Charakter, eigene Bedürfnisse. Und wir kennen heute ganz viele verschiedene Möglichkeiten, mit einem Kind umzugehen – weil die Welt enger zusammengerückt ist und wir die Modelle anderer Kulturen kennen, aber auch weil die Moderne es uns ermöglicht (hochwertige Formulamilch, Impfen etc.).

Für manches spricht sachlich mehr als für das andere, aber viele Alternativen sind genau das: Alternativen! Beides ist in Ordnung, wie es eben gerade für diese eine Familie passt. Kuschliges Familienbett oder nächtliche Privatsphäre, Langzeitstillen oder perfekt sterilisierte Flaschennahrung, Schnuller oder Daumen, Tragen oder Schieben, drei Jahre Fulltime-Mama oder Job und Krippe, und dann erst die vielen Erziehungsstile!

Ich glaube, wer gut informiert plus Bauchgefühl seine Entscheidungen trifft, macht schon mal ziemlich viel richtig. Aber man muss sich eben auch klar machen: Jede Mutter und jeder Vater muss Entscheidungen treffen, die für die eigene Familie passen – mehr aber auch nicht. Das eigene Urteil muss nicht auch für alle anderen gelten. Eine andere Familie kann anders entscheiden – das ist kein Angriff auf mein eigenes Modell, einfach nur eine andere Variante. Und das ist völlig okay. Es muss mich nicht verunsichern, und es muss mich schon gar nicht dazu veranlassen, gegen die anderen zu wettern. Weder unterschwellige Sticheleien in der Krabbelgruppe noch ausrufezeichenüberfrachtete Attacken im Internet bringen irgendwen weiter. Die Zeit und Energie kann man sich wirklich sparen und lieber in die schönen Dinge des Lebens investieren.

Apropos schöne Dinge: Gerade steht sie wieder ins Haus, die Adventszeit mit Plätzchenduft, Baumschmuck und 24 Türchen. Wer glaubt, das habe nichts mit Mommy Wars zu tun, kann sich glücklich schätzen. Tatsächlich toben sie selbst hier: Ist ein Adventskalender Konsumwahn? Hängt im Biedermeier fest, wer ihn auch noch selbst bastelt? Und setzt, wer selbst Plätzchen backt, die anderen Mütter unter Zugzwang? Ich halte mich an meine eigene Prämisse: Für meine Familie passt: Plätzchen backen? – Ja, unbedingt, Familientradition! Adventskalender? – Nö, brauchen wir nicht, weder gekauft noch gebastelt. Und ihr haltet es hoffentlich so, wie es euch gefällt, ganz ohne schlechtes Gewissen.

Jana König

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