Stillen in der Öffentlichkeit

Kathrin Stillen 80 Comments

Mit Anfang 20 sah ich zum ersten Mal eine stillende Frau. Sie gab ihrem Baby völlig ungeniert die Brust und das in einem überfüllten Café. „Muss das denn sein?“ fragte ich mich damals. Die Antwort bekam ich Jahre später, als meine Tochter nur wenige Wochen alt war. Bei einem Stadtbummel gab unser Mädchen mir urplötzlich mit heftigem Schreien zu verstehen, dass sie unverzüglich was zu futtern braucht. Ich stillte ausschließlich und brauchte mindestens 20 Minuten bis zur Haustür. Da wusste ich: „Stillen in der Öffentlichkeit muss sein!“

Mein erstes Mal

In dieser unerwarteten Situation scannte ich fieberhaft meine Umgebung nach einer Sitzgelegenheit ab, denn ich musste SOFORT handeln. Blöderweise befand ich mich in einer überfüllten Einkaufspassage mitten in der Stadt. Egal! Ich stürzte auf die nächste Bank zu, zog mir entschlossen das T-Shirt hoch (ich besaß kein einziges Still-Oberteil) und genoss erleichtert die schnell einkehrende Ruhe. Dass vorbeigehende Menschen meinen Anblick ebenfalls genossen, oder zumindest wahrnahmen, konnte ich jedoch nicht ausblenden. Mir war ziemlich unwohl in meiner Haut.

Nackte Tatsachen

Stillende Frauen sehe ich sehr selten in der Öffentlichkeit, (halb-)nackte Models dagegen zieren zahllose Plakatwände. Auch im wahren Leben zeigt Frau viel Haut – nicht nur oben ohne am Strand. Warum sorgen also nackte Brüste als erotisches Lockmittel kaum mehr für Empörung, während öffentlich stillende Mütter nach wie vor zu heißen Diskussionen führen (siehe Ärger wegen stillender Mutter)? Unserer modernen Gesellschaft ist ganz offensichtlich das Wissen um die wichtigste biologische Funktion der weiblichen Brust verloren gegangen. Oder warum zensiert Facebook Bilder stillender Mütter, obwohl es gerade auf dieser Websseite an tiefen Dekolletees und knappen Dessous nicht mangelt?

Heimstiller

Da so wenige Frauen öffentlich stillen, traute ich mich selbst selten meiner Tochter auf offener Straße die Brust zu geben. Eigentlich schade, schließlich ist es ein enormer Vorteil, die exakt temperierte Speise stets dabei zu haben… Ich versuchte aber lieber unseren Tagesablauf so zu planen, dass wir zu den Stillmahlzeiten entweder zu Hause oder bei Freundinnen waren. Leider hielt unser Mädchen sich nicht immer an meine Pläne und bekam auch dann Appetit, wenn ich meilenweit von unseren kuscheligen Stillstationen entfernt war. Ein schöner Schlamassel!

Meine Stillstrategie in den ersten Monaten

Ich entwickelte also zwei Taktiken: Eine fürs „Grün“ und eine fürs „Grau“. Im Grünen – beispielsweise bei Spaziergängen durch Parks – musste Thomas oft als Sichtschutz herhalten. Waren wir mal ohne Papa in der freien Natur unterwegs, versteckte ich unser Mädchen unter unserem fünf Meter langen Tragetuch. In städtischer Zone zog ich mich vorzugsweise in Umkleidekabinen oder Wickelräumen großer Einkaufszentren zurück. Manchmal verkroch ich mich auch auf die Rücksitzbank unseres Autos, falls es in der Nähe war. Irgendwie schaffte ich es immer mich vor neugierigen Blicken zu schützen und uns in unseren intimsten Momenten nicht zu sehr zur Schau zu stellen. Diese Notlösungen waren aber alles andere als entspannt und ich war immer erleichtert, wenn ich es doch bis nach Hause schaffte.

Kein Versteckspiel mehr!

Ich finde es schade, dass man als stillende Mutter – zumindest in einer Provinzstadt wie Krefeld – in Stress gerät, wenn der Nachwuchs unterwegs Hunger anmeldet. Mütter, die ihre Kinder öffentlich stillen, sollten sich nicht verstecken müssen. Doch leider leben wir in einer Gesellschaft, die zwar mit Reizen nicht geizt, aber peinlich berührt ist, wenn es um den Anblick säugender Kinder geht.

Je länger ich stillte, desto selbstverständlicher wurde das Stillen für mich – auch in der Öffentlichkeit. Mittlerweile kommt es zwar selten vor, dass unser Mädchen (28 Monate alt) unterwegs nach Muttermilch verlangt, aber wenn es so ist, stille ich sie ohne zu zögern egal wo wir gerade sind.

Stillen in der Öffentlichkeit

Entspanntes Stillen am Strand von Honfleur (Frankreich) im August 2013.

Unsere „Lieblingsauswärtsstillposition“ ist die sog. Reiterstellung (siehe Foto), bei der die Leute meist gar nicht sehen, was wir eigentlich machen, sondern denken, dass wir ganz innig kuscheln 🙂
So bleibt das Stillen intim und diskret, ohne dass wir uns dafür in ein geheimes Kämmerlein verkriechen müssen.

Wie geht Ihr mit dem Thema um? Stillt Ihr in der Öffentlichkeit? Wie empfindet Ihr andere stillende Mütter in der Öffentlichkeit?


Comments 80

  1. Angelika

    Toll zu lesen, das es doch ein paar mehr Muttis gibt die gern Stillen und das auch in der Öffentlichkeit. Da bin ich sehr froh. Hier in meinem zu Hause bin ich mir oft als Exot vorgekommen. Unser Sohn ist mittlerweile 13 Monate und wir nur noch früh und zu den einzelnen Schlafenszeiten gestillt, da aber sehr konsquent, er braucht und will es einfach. Mein Mann steht voll hinter uns und findet es super, dass der Lütte immer noch zur Beikost das Beste von Mama bekommt. Ich hoffe sehr, dass andere auch den Mut zum lange und öffentlich Stillen haben. Einer freundin konnte ich schon Mut machen. Sie möchte unbedingt ein Baby und es auch so machen wie wir. Super, das ist doch ein kleiner Erfolg!

  2. Katharina

    Ich habe mir schon vor der Geburt Gedanken über das Thema:“Stillen in der Öffentlichkeit“ gemacht und war perfekt Vorbereitet;-). Ich hatte einen „Hooters hider“ (ein Tuch mit einem eingearbeiteten Reifen, der den Blick auf das Baby bei Trinken ermöglicht). Mein Sohn wurde im März geboren und anfangs war das mit dem „Ding“ ne super Sache. Besonders im Café oder an anderen belebten Orten. Um so wärmer es wurde umso unangenehmer wurde das Tuch. Mein Sohn wurde ungeduldig und konnte nicht ungestört trinken. Aber aus Rücksicht auf die Empfindlichkeiten anderer hab ich das Tuch weiterbenutzt. Selbst meinem Mann wäre es ohne unangenehm gewesen. Für mich und meinen Sohn war es Stress. Dann waren wir im Mai in Wien und haben meinen Bruder besucht. Es hatte 38 Grad und als mein Bruder sah, dass ich mir dieses Tuch überziehe meinte er nur dass ich total bescheuert wäre und ich solle doch meinem Kind doch einfach geben was es bräuchte. Und das tat ich dann auch – und zwar immer und überall. Unsicher wurde ich nur einmal noch als ich am Tisch (im Biergarten) beim Inder saß und meinen Sohn stillte, während der Kellner die Bestellung ausnahm. Aber auch hier wurden wir weder doof angeredet noch gab es sonst irgendeine Reaktion.

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      Kathrin

      Was für eine tolle Reaktion von Deinem Bruder! Ob er sich bewusst ist, welchen Stein er damit ins Rollen gebracht hat? Ich wünsche Dir jedenfalls viel Spaß beim weiteren Stillen in der Öffentlichkeit 🙂

  3. Ribes

    Hallo an alle!

    Ich muss sagen danke für diesen Bericht!
    Ich stille meinen Sohn (4 bald 5 monate) natürlich auch und finde es nach langer Zeit nicht mehr schlimm in der ôffentlichkeit zu stillen. Ich habe immer mein Tuch dabei und wenn ich gerad nicht möchte, dass z.B. die männlichen Freunde von uns, meine Brüste sehen sollen, wird es rüber gelegt.
    Wir sind oft bei uns im Sportverein, am Anfang hab ich immer draussen hinter dem Clubhaus gestillt, mit Tuch und Kinderwagen als Sichtschutz…als es einmal aber dann plötzlich zu regnen anfing, dacht ich mir : Nie wieder!!
    Jetzt sitz ich drinnen auf dem Sofa und wem es stört,der muss sich ja nicht unbedingt direkt neben uns setzen.

    Wir wohnen in Kopenhagen und neben ein paar Baby-Kinderfreundlichen Cafes/Restaurants gibt es hier auch ganz viele Gastronomen die es nicht gerne sehen, wenn du bei denen dein Baby stillst. Deswegen war hier letztens eine Demonstration von Müttern, die ihre Kinder auf dem Rathausplatz gestillt haben um auf dieses Gesellschaftsproblem aufmerksam zu machen.
    Ich war nicht dabei…wir waren in einem kinderfreundlichen Restaurant essen 😉

  4. cemistry

    ich stille meine kleine (10 monate) überall. da ich sie fast 9 monate getragen habe und die tragehilfe schon *angewachsen * ist, mache ich sie jetzt wenn wir unterwegs sind da rein (momentan manduca oder ring sling) und bedecke meine brust mit dem was grad da is, funktioniert auch beim spazieren gehen oder anderweitig unterwegs sein super:-)

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  5. Elke

    Ich bin total begeistert von dieser Webseite. Kann mich in fast allen Themen wiederfinden und muss jetzt doch auch mal einen Kommentar hinterlassen.

    Wir sind auch nach fast 18 Monaten noch eine überzeugte Stillgemeinschaft =). Mein Sohn wird nach wie vor nach Bedarf tags wie nachts gestillt und denkt überhaupt nicht ans aufhören.

    Ich habe kein Problem damit, im Gegenteil ich finde es nach wie vor als das Beste und Praktischte.

    In der Öffentlichkeit stillen wir dank praktischer Stillkleidung überall relativ ungeniert. Ich schaue zwar, dass wir nach Möglichkeit ein ruhiges Plätzchen finden, aber eher wegen der Ablenkung.

    Bislang haben wir noch keine negativen Erfahrungen mit dem Stillen in der Öffentlichkeit gemacht. Ich kann allen stillenden Müttern nur Mut machen- ich denke, dass unsere Gesellschaft in dieser Beziehung inzwischen etwas lockerer ist. Häufig machen sich die Mamas mehr Gedanken als nötig.

    Wir werden jedenfalls so weiter machen, bis einer von uns beiden nicht mehr mag.

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      Kathrin

      Liebe Elke,

      da ist etwas Wahres dran. Oftmals habe ich mir zu sehr den Kopf zerbrochen, anstatt einfach zu stillen. Jetzt da unser Mädchen schon 2 Jahre alt ist, ist es mir so schnuppe, wenn sie in der Öffentlichkeit stillen will (das passiert allerdings sehr selten), dass ich mich einfach mit ihr hinsetze, wo wir ein Plätzchen finden. Die Leute schauen zwar neugierig – es sieht wohl eher aus wie kuscheln als stillen, weil ihr Kopf meine Brust komplett verbirgt – aber gesagt hat niemand etwas. Vielleicht traut sich auch keiner, weil wir so überzeugt/ überzeugend aussehen 😉

      Liebe Grüße
      Kathrin

  6. Heike

    Mittlerweile ist mein „Kleiner“ fast 3 Jahre alt. Stillen liebt er immernoch über alles. Mit knapp 2 Jahren wollte er nur noch daheim stillen. Er hat wohl gemerkt, dass mit zunehmenden Alter es mir auch unwohler wurde immer und überall zu stillen.
    Hätte nie gedacht mal so lange zu stillen und ein Ende ist noch nicht in Sicht. Im Gegenteil hatte gleich von Anfang an Milchpulver und Fläschchen daheim, da die Gerüchteküche in meinem Bekanntenkreis kochte mit: Stillen macht nicht satt, Milch geht schnell zurück… Aber mein Kleiner hat mich eines besseren belehrt.
    Ich selber habe früher auch gedacht : Muss das sein Stillen in der Öffentlichkeit. Jetzt mit eigenem Kind weiss ich: Ja es muss sein, weil zumindest ein Baby nicht einfach mal ne Stunde warten kann weil die Umgebung nicht passt. Ich glaube wir sind den Anblick einer stillenden Mutter einfach nicht mehr gewöhnt weil sich leider sehr viele verstecken. Man kann auch unauffällig stillen indem man sich nur etwas wegdreht und vielleicht die passende Kleidung anzieht damit man sich beim Stillen nicht komplett nackig machen muss.

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      Kathrin

      Oh nein, 3 Jahre und noch kein Ende in Sicht? Von meiner jetzigen Perspektive aus, wünsche ich mir, dass unser Mädchen sich mit ca. 3 Jahren ganz friedlich abstillt. Aber wer weiß, ich konnte mir vor zwei Jahren ja auch nicht vorstellen, dass ich heute noch stille 😉
      Euch wünsche ich jedenfalls noch eine tolle Stillzeit!

  7. Helen

    Hallo,
    DANKE für deine Seite. Gefällt mir sehr gut!
    Ich stille mein Baby, knapp 9 Monate alt, immer und überall. Bei meiner ersten Tochter war ich da noch etwas zurückhaltender. Aber heute………. Egal wo, ob auf Treppenstufen, im Auto, im Geschäft, während der Taufe in der Kirche :-), im Tragetuch…. Wo auch immer, Oberteil hoch und andocken:-) Trage keine Still Oberteile. Am besten funktioniert es mit weichen Bustiers/Sport-BHs. Ich ignoriere einfach fremde Blicke. Noch kein einziger negativer Blick oder Kommentar ist mir unter gekommen. Bisher nur lieb lächelnde Menschen und eine Dame kam mir mal entgegen und rief : „Welch ein wunderschöner Anblick!“ Da hab ich mich echt gefreut 🙂 Liebe Grüße

  8. Maxi

    Hallo Kathrin,
    ich danke dir für deine tolle Seite sowie deine Geschichten und die liebevollen Worte über das Leben mit deiner Tochter. Bei manchen Posts hatte ich Tränen in den Augen. Ich stille seit 8 Monaten meine kleine Tochter – überall und wann immer sie möchte. Die anderen interessieren uns dann nicht. Stillen ist eine Erfahrung die ich nie mehr missen möchte und ich bedaure Mütter die die Flasche geben müssen sehr. (verurteile sie aber nicht) Es ist schön zu wissen, das man nicht allein ist. (Einschlafstillen, viel Tragen, kein Schnuller, Familienbett) DANKE!!!

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  9. Anna

    Hallo Kathrin,

    dank deiner Seite weiss ich nun das ich mich nicht dafür schämen muss,das mein kleiner im Familienbett schläft. Ich möchte genauso wie du Langzeitstillen und finde es einfach super. Viele deiner Beiträge haben mir sehr geholfen genauso wie zum Thema Brei. Oder den Medikamenten. Meine Mutter hat mich als Baby bis ich 4 war gestillt und das bei allen 4 Kindern. Und ich werde es auch so handhaben ausser er stillt sich irgendwann selber ab lach. Mein Kleiner ist nun 4 Monate alt 😉 Mir ist es mal passiert das ich im Bus stillen musste, und der Busfahrer hat sich tatsächlich dadurch belästigt gefühlt.`-.- ich find diese Seite so toll,einfach nur Klasse,es ist das was ich mir auch immer denke und genau meine Meinung wiederspiegelt. Eine Idee für einen Beitrag wäre die irrtümer über die Monatskoliken und wodurch Bauchweh bei Babys oftmals ausgelöst eigentlich wird,falls es sowas hier noch nicht gibt. Da habe ich in den letzten Monaten sehr viel Erfahrungen drüber gemacht,was die eigentlich wirklich auslöst und das es nicht von zuviel Luft im Bauch kommt etc. das sind selten die Auslöser. Vielen lieben Dank für diese Seite einfach klasse.

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  10. shany

    Hallo! Vielen Dank für deine schönen Artikel! Ich freue mich immer wenn ich stillende Mütter sehe. Für mich ist das immer ein Moment des Innehaltens, der Wärme und der Lieb! Mittlerweile ist es besser, aber ab und zu überkommen mich noch die wehmütigen Gefühle. Leider konnte ich bei beiden Kindern nicht stillen :(. Nach 6 Tagen war die Milch bei beiden Weg. Und mir ist es heute noch unangenehm wenn ich meinen Kindern in der Öffentlichkeit die Flasche geben muss. Am Anfang war das ganz schlimm hab mich dann immer so geschämt und konnte die Frage nach stillst du nicht, kaum ertragen. Deshalb seit stolz und Tragt die Milchbrüste mit Stolz und zeigt es allen da draußne, dass es das Normalste und Schönste der Welt ist!!!

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      Kathrin Szabó

      Liebe Shany, komische Welt, in der sich jede Mutter für das, was sie tut schämen oder rechtfertigen muss. Danke jedenfalls für Deinen interessanten Kommentar – so habe ich das noch nicht gesehen. LG Kathrin