Mein Körper gehört mir!: Prävention sexueller Gewalt

Jasmin Familie 2 Kommentare

Ich weiß, dass dieses Thema schwer verdaulich ist, aber wir springen trotzdem direkt ins kalte Wasser!

In Deutschland sind letztes Jahr 40 Kinder Opfer von sexueller Gewalt geworden – und zwar täglich. Mehr als 14.600 Missbrauchsfälle hat das BKA im Jahr 2018 registriert und Fakt ist: Sexuelle Gewalt kommt am häufigsten da vor, wo man sie nicht vermutet. In den Familien bzw. im Freundes-oder Bekanntenkreis.

Wenn Vertrauen zu Missbrauch führt

In der Regel ist es nicht der große Unbekannte, der sich ein Kind gegen seinen Willen schnappt und es missbraucht. Es ist viel perfider. Die Täter (überwiegend männlich) kommen aus dem sozialen Umfeld der Kinder und handeln nicht im Affekt. Stattdessen gehen sie ganz besonders planvoll vor. Sie bewegen sich oft nur langsam und fast unmerklich in einen Bereich vor, der von liebevollen Berührungen und angemessenen Zärtlichkeiten übergeht in Handlungen, die eben nicht mehr angemessen sind, die dem Kind widerstreben und sich falsch anfühlen. Natürlich verpflichten sie das Kind dabei zu strengster Geheimhaltung. Mit Drohungen. Oder Versprechungen und Verlockungen. Außerdem bringen sie das Kind dazu, seinem eigenen Gefühl („Das ist nicht richtig!“) nicht zu trauen.

Siehe auch: Freund oder Feind: So kann ich mein Kind vor sexuellen Übergriffen schützen

Im Alltag vorbeugen: Kinder stärken

Genau an diesem Punkt kommen wir ins Spiel. Eltern, Verwandte, Freunde und Bekannte. Denn wir alle können etwas zur Prävention von sexuellem Missbrauch an Mädchen und Jungen tun – durch Dinge, die wir zunächst einmal wahrscheinlich gar nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Vorbeugung von Missbrauch setzen würden.

Als qualifizierte Tagesmutter bin ich geschult, Missbrauchsfälle unter den Kindern in meiner Pflegestelle erkennen zu können. In meinem Job geht es aber hauptsächlich darum, vorher anzusetzen – präventiv. Im Kindergarten meines Sohnes hat es zudem einen sehr aufschlussreichen Elternabend dazu gegeben. Dort gab uns eine Polizistin Tipps, woran wir als Eltern konkret arbeiten können, um unsere Kinder präventiv zu stärken. Diese decken sich übrigens auch mit den Empfehlungen des Familienministeriums (Mutig fragen, besonnen handeln).

Danach sollen wir:

1. Die Gefühlswahrnehmung von Kindern fördern

Kinder müssen lernen, ihre eigenen Gefühle wahrzunehmen: Was fühlt sich für mich gut an? Wobei ist mir wohl – wobei eher mulmig? Welche Form von Nähe empfinde ich als angenehm? Bei wem fühlt es sich falsch an?

Schon Babys spüren, wessen Berührungen und Nähe sie mögen und wessen nicht. Damit ihnen diese Fähigkeit nicht verloren geht, müssen ihre Bezugspersonen achtsam mit ihnen umgehen. Natürlich sollten sie ihnen (auch körperlich) Nähe und Geborgenheit geben: Beim Gute-Nacht-Buch-Vorlesen mit Ihnen kuscheln, ihnen Abschiedsküsse geben und Händchen halten. Wichtig ist aber, zu akzeptieren, wenn das Kind diesen Körperkontakt gerade nicht möchte. Das beginnt schon beim Wickeln der ganz Kleinen. Natürlich braucht ein Säugling eine frische Windel, wenn die Alte voll ist – aber nicht um jeden Preis. Wenn ein Baby (oder Kleinkind) sich körperlich aktiv dagegen wehrt, sollten Eltern das ernst nehmen. Vielleicht kann man sich mit dem Kleinkind darauf einigen, dass es kurz noch zu Ende puzzeln darf, bevor gewickelt wird. Dem Säugling kann man ebenfalls zeigen, dass seine Sorgen und sein Ärger ernst genommen werden: „Ich merke, du möchtest gerade nicht gewickelt werden. Vielleicht ist es dir zu kalt. Warte – ich mache dir die Heizlampe an. Wir müssen das leider machen, sonst bekommst du einen wunden Po. Aber ich ziehe dich auch schnell wieder an, versprochen!“.

Es stärkt unsere Kinder in ihrer Gefühlswahrnehmung, wenn wir solch ein „Nein“ im Alltag erkennen und akzeptieren oder zumindest feinfühlig darauf reagieren. Außerdem ist es ein großer, präventiver Schritt: Wenn Kinder erfahren haben, wie es sich anfühlt, wenn ihre Abgrenzungswünsche respektiert werden, fällt es ihnen leichter zu erkennen, wenn Andere versuchen, ihre Grenzen zu überschreiten.

2. Das Umfeld mit ins Boot holen

Abgrenzungswünsche der Kinder sollten natürlich nicht nur von den Eltern akzeptiert werden – auch das restliche Umfeld sollte mitspielen. Denn die Stärkung des Kindes gelingt umso besser, je mehr Leute daran mitarbeiten.

Wenn sich ein Kind zum Beispiel wegdreht, wenn die Oma ihm einen Begrüßungskuss geben will oder es sogar aktiv sagt, dass es nicht geküsst werden will, dann darf dieses Signal nicht ignoriert werden. Allerdings kann sich diese Ablehnung schnell verletzend für nahe Angehörige anfühlen. Bestärkt man sein Kind dann auch noch darin („Du MUSST ihr keinen Kuss geben, wenn du nicht willst“) führt das schnell zu Spannungen. Um Konflikte zu vermeiden ist es deshalb hilfreich, Großeltern, Paten, enge Freunde etc. in die Gründe dafür einzuweihen: Wenn die Oma die Idee der Prävention dahinter versteht, dann ist der Ärger meist schnell verflogen.

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3. Kinder ihren Körper spüren lassen

Um Kinder in ihrem Körperbewusstsein zu unterstützen, sollten wir sie möglichst früh positive Körpererfahrungen machen lassen. Dazu gehören Babymassagen auf dem Wickeltisch, genauso wie Matschereien im Sand. Im Kindergartenalter kommt dann meist das Bedürfnis dazu, den eigenen Körper (und auch den des Gegenübers) zu erkunden. Ich weiß selbst, dass Mütter bei dem Begriff „Doktorspiele“ schnell nervös werden, vielleicht sogar den Drang verspüren, solche Untersuchungen zu unterbinden. Aber sie sind wichtig. Um ein gutes Gefühl für den eigenen Körper zu entwickeln. Außerdem lernen Kinder dabei, respektvoll mit dem Körper anderer umzugehen. Vorausgesetzt, sie haben zuvor erfahren, dass Andere auch respektvoll mit ihrem Körper umgehen. Wichtig ist, dass solche Körpererfahrungen in einem geschützten Raum stattfinden und es kein Altersgefälle zwischen den Kindern gibt.

Des Weiteren sollten wir unsere Kinder schon früh selbstständig mit ihrem Körper umgehen lassen. Bei kleinen Kindern, die das entwicklungsbedingt noch nicht können, sollten Eltern alternativ Alles versprachlichen: Die Nase nicht wortlos putzen, den Po nicht stumm abwischen oder sie ohne Erklärung anziehen. Um ein gutes Bewusstsein für den eigenen Körper zu entwickeln, sollten schon Säuglinge in alle Vorgänge eingebunden werden, die ihren Körper betreffen.

4. Mit Kindern über sexuelle Gewalt sprechen

Wir dürfen unseren Kindern keine Angst machen. Aber sie müssen von uns hören, was passieren kann – in kindgerechter Sprache. Sie sollten erfahren, dass es Menschen gibt, die Kinder gerne so berühren möchten, wie sie Kinder nicht berühren dürfen. Dass es sein kann, dass sie Penis oder Scheide des Kindes anfassen wollen oder sich selbst dort von einem Kind anfassen lassen möchten – dass das aber nicht in Ordnung ist. Und dass Kinder dann ganz deutlich „Nein!“ sagen sollen. Sie müssen wissen, dass ihr Nein immer zählt – auch wenn sie zuvor vielleicht ihre Zustimmung gegeben haben. Sobald das Kind „komische Gefühle im Bauch“ bekommt, es sich nicht mehr gut, sondern falsch anfühlt, hat es das Recht, „Stopp!“ zu sagen.

Unseren Kindern muss außerdem klar sein, dass sie uns immer Alles erzählen dürfen – auch wenn die Person sagt, das sei ein Geheimnis. Dass sie sogar dann zu uns kommen sollen, wenn Jemand behauptet, er würde Mama und Papa dann weh tun. Oder dem Kind. Dass dieser Mensch einem damit nur Angst machen will. Man kann es schön mit „guten und schlechten Geheimnissen“ erklären: Wenn Papa ein Geschenk für Mama kauft und das Kind es nicht verraten soll, ist das ein gutes Geheimnis – weil es schön im Bauch kribbelt und sich am Ende alle freuen. Wenn sich das Geheimnis aber falsch anfühlt, so blöd, dass es Bauchschmerzen macht, dann handelt es sich um ein schlechtes Geheimnis, von dem man unbedingt Jemandem erzählen sollte.

Den Begriff „sexuellen Missbrauch“ müssen wir bei unseren Gesprächen gar nicht in den Mund nehmen. Andere Begriffe aus der Sexualerziehung hingegen sollten wir ganz klar benennen, womit wir beim nächsten Punkt wären:

5. Klartext reden!

Geschlechtsteile und sexuelle Vorgänge müssen direkt benannt werden. Es heißt nicht Schniedel, sondern Penis. Frauen haben eine Scheide, keine Mumu. Ich weiß, dass es vielen Eltern schwer fällt, sich hier klar auszudrücken (während Andere damit wiederum gar keine Probleme haben). Ich verstehe auch, dass man gegen sein eigenes Schamgefühl nicht viel ausrichten kann. Entweder, es ist einem unangenehm oder eben nicht. Aber klar ist gleichzeitig auch, dass sich Kinder nur schwer einer Person anvertrauen können, die ihre eigenen Geschlechtsteile nicht beim Namen nennen kann. Wir müssen mit unseren Kindern also schamfrei über Sexualität und sexuelle Gewalt sprechen können – damit unsere Kinder es umgekehrt auch mit uns können.

Ein persönliches Fazit

Mir haben diese Tipps sehr geholfen. Ich achte im Alltag viel stärker darauf, das Bewusstsein meiner Kinder für ihren eigenen Körper zu stärken und natürlich auch, ihre Grenzen zu akzeptieren. Auch wenn es mich als Mama oft traurig macht, wenn mich mein Sohn vor dem Schlafengehen nicht mehr Drücken oder Küssen möchte. Früher habe ich dann manchmal gespielt beleidigt reagiert, ein Schnütchen gezogen, um vielleicht doch noch ein Küsschen abzustauben. Heute sage ich: „Das ist schade, denn ich kuschle gern mit Dir. Aber wenn du grade nicht möchtest, ist das auch okay. Du entscheidest selbst.“

Neuerdings führt das bei uns zu nervenaufreibenden Diskussionen beim abendlichen Zähneputzen. Da versucht mein Sohn sich jetzt nämlich mit einem „Ich bestimme selbst über mich!“ rauszuziehen. So hatte ich das zwar nicht geplant! Aber lieber so, als ein zu wenig gestärktes Kind.

Schweres Thema – kindgerechte Bücher

Zum Schluss möchte ich Euch gerne noch ein paar Buchtipps zu dem Thema an die Hand geben. Es sind Bücher, die ich alle mit meinem Vierjährigen gelesen und als altersgerecht empfunden habe. Ob sie auch für Euer Kind geeignet sind, solltet ihr nach einem Mal Vorab-Lesen (alleine!) selbst entscheiden. Denn was Euer Kind verpacken kann (und ob es überhaupt schon empfänglich für das Thema ist), könnt ihr am Besten einschätzen. Wir hatten sie alle in der Bücherei ausgeliehen.

Außerdem habe ich schon viel Positives von diesem Buch hier gehört:

Als Tagesmutter habe ich mich in meiner Qualifizierung außerdem mit diesem Buch beschäftigt:

Dabei handelt es sich um ein Buch, das einen als Erwachsenen sehr mitnimmt. Für Kinder toll aufgearbeitet und durch die Abstraktion (Kind, Eltern, Täter sind nicht menschlich, sondern als Handschuhe dargestellt – kuschelig weich oder kalt und glatt als Lederhandschuh) gut aushaltbar. Das  dazugehörige Buch gibt Kindern Verhaltenstipps in Missbrauchsfällen und bei      Grenzüberschreitungen. Absolut empfehlenswert! Empfohlenes Lesealter  ist allerdings erst 6 bis 10 Jahre. Das Buch sollte außerdem niemals von Kindern alleine angeschaut werden, da darin sexuelle Übergriffe thematisiert werden.

Sexueller-Missbrauch

 

Gastautorin Jasmin Lapp
 Dieser Artikel stammt aus der Feder von Jasmin Lapp, Jahrgang 1984. Früher: Hörfunk-Moderatorin. Heute: Freie Journalistin und Tagesmutter. Vor Allem aber: Mutter. Von einem Sohn (2015) und einer Tochter (2018) ♥️

Jasmin-Lapp

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