Windelfreiheit – So geht es ohne Windeln!

Kathrin Gastartikel 15 Kommentare

DeniseJacobs_2Funktioniert „windelfrei“ von Geburt an und in jeder Lebensphase bzw. zu jeder Jahreszeit?
Denise Jacobs (Mutter und Autorin von „Baby im Bauch, Chaos im Kopf: Tagebuch einer Schwangerschaft„) zeigt in ihrem beeindruckendem Erfahrungsbericht, dass Windelfreiheit sehr wohl vom ersten Tag an klappen kann.

Viel Spaß beim Lesen!

Eure Kathrin

Am Ende meiner Schwangerschaft las ich zum ersten Mal ein Buch über Windelfreiheit. Was ich las, klang revolutionär:

Babys könnten von Geburt an ihre Ausscheidungen kontrollieren, hieß es da. Sie kommunizierten, dass sie mal müssen so wie sie auch kundtun, wenn sie beispielsweise Hunger haben. Sie könnten ihre Auscheidungen anhalten bis man sie auszieht und „abhält“, also in eine Hockposition bringt, damit sie loslegen können. Babys machten das von Natur aus, denn sie hätten ein angeborenes Sauberkeitsbedürfnis. Wenn Eltern über Monate hinweg nicht auf die Signale reagierten, sondern sie an Wegwerfwindeln als Klo gewöhnten, so verlernten die Babys auf ihre Körperfunktionen zu achten und müssten es später in dem sogenannten Sauberkeitstraining erst wieder erlernen.

Ich war baff. Die Gedanken waren mir völlig fremd. Für mich waren Windeln vorher unumgänglich und ich wäre nie auf die Idee gekommen, sie wegzulassen, weil ich glaubte, dass sonst das Baby überall unkontrolliert hinmachen würde. Mir wurde schlagartig bewusst, wie unwissend ich war – und wie unwissend alle um mich herum sind. Ich kannte niemanden, der davon wusste. Aber alles in dem Buch erschien mir logisch!

Mein Weltbild stand nach dem Lesen des Buches Kopf. Und ich hatte das Gefühl: Ab dem Moment stand es plötzlich richtig herum.

Ich erzählte einer Freundin davon, die schon ein Kind hatte. Doch sie starrte mich entsetzt an.

„Ich bezweifle, dass das funktioniert. Und wie machst du das im Auto? Oder draußen, im Winter? Oder nachts?“

Darauf hatte ich keine Antwort. Ich war beschämt. Ich ahnte, dass ich einer großen Wahrheit auf der Spur war – doch ich hatte niemanden, den ich nach seinen Erfahrungen fragen konnte. Ich würde Vorreiter in meinem Freundes- und Familienkreis sein.

Ich beschloss es dennoch zu versuchen. Der werdende Papa war einverstanden.

Erster Tag:

Wir fuhren wenige Stunden nach der Geburt nach Hause, um nicht im Krankenhaus in die Verlegenheit eines ersten „Pipi-Unfalls“ zu kommen. Wir hatten für daheim sechs durchlässige Mullwindeln besorgt und fünf wasserdichte Unterlagen. Die erste Nacht verlief ruhig. Unser Sohn blieb trocken.

Nach einer Woche:

Wir hatten unseren Vorrat an Mullwindeln von sechs auf sechzehn aufgestockt. Der Papa hatte den Gesichtsausdruck raus, den unser Sohn macht, bevor es losgeht. Ich erahnte anhand der Zeit, die vergangen ist seit dem letzten Pipi, wann unser Sohn das nächste Mal muss. Dann zogen wir ihm die Mullwindel aus und hielten ihn übers Waschbecken. Dazu gaben wir noch ein Zeichen, dass er jetzt loslegen kann: ein leises, gezischtes „Sss“. So stand es in dem Buch, das ich gelesen hatte.

Es funktionierte. Manchmal. Doch die wenigen Momente freuten uns riesig. Zudem hielt ich unseren Sohn in den Stillpausen übers Waschbecken, wo auch meistens etwas kam. Dennoch ging das meiste in die Mullwindeln. Aber wir waren geduldig. Unser Sohn war erst eine Woche alt. Wir wussten: Wir müssen seine Zeichen und seinen Rhythmus erst einmal kennenlernen.

Woran erkenne ich, dass mein Baby muss?
  • Wenn das Baby Signale äußert, also Bewegungen, Geräusche oder eine bestimmte Mimik macht.
  • Im Zusammenhang mit Ess- oder Schlafgewohnheiten, zu einem bestimmten Rhythmus, zu bestimmten Zeiten (etwa immer nach dem Aufwachen oder immer nach dem Trinken)
  • Aufgrund der elterlichen Intuition.

Das heißt konkret: Nicht das Baby muss lernen, sauber zu werden, sondern Eltern müssen lernen, ihr Baby und dessen Bedürfnisse zu interpretieren durch Beobachtung, durch Vertrauen auf ihre Intuition – beziehungsweise anfänglich durch Versuch und Irrtum.

Wenn etwas in die Mullwindeln ging, sahen wir es sofort und wechselten sie. Unser Sohn war damit immer sauber und trocken. Schon nach einer Woche war es für uns unvorstellbar, ihn in Wegwerfwindeln zu packen und in seinen Ausscheidungen liegen zu lassen. Für uns gab es kein Zurück.

Was bedeutet Windelfreiheit?
Windelfreiheit ist die sogenannte Ausscheidungskommunikation zwischen Eltern und ihrem Baby über dessen natürliches Ausscheidungsbedürfnis. Das Baby kommuniziert, dass es muss, und als Elternteil richtet man es nach Möglichkeit ein, dass das Baby „sauber“ (ohne Windel) ausscheiden kann.

Windelfreiheit wird oft falsch verstanden. Es besagt nicht, dass man unbedingt Windeln weglassen muss und dass man bei jedem anstehenden Pipi hektisch in Panik verfällt, weil man das Baby dringend abhalten muss. Es heißt auch nicht, dass man ständig das Kind beobachtet und auf seine Signale wartet. Es bedeutet ebenso nicht, dass man das Kind zur Sauberkeit zwingt oder erzieht.

Windelfreiheit ist ein Teil eines bedürfnisorientierten Umgangs mit dem Baby. Man respektiert die Bedürfnisse des Babys – in dem Fall das angeborene Sauberkeitsbedürfnis. Das Baby signalisiert von Geburt an, was es braucht. Bei der Erfüllung seiner Bedürfnisse ist es auf Hilfe angewiesen.

Insofern stellt sich mir nicht die Frage, wie viel Aufwand das ist und welche Nachteile das bringt. Als Nachteil wird öfter Stress aufgeführt, der mit dem Abhalten verbunden wäre. Doch Stress wird nicht dadurch ausgelöst, dass man auf die Bedürfnisse des Babys eingeht, sondern dadurch, dass man nicht auf sie eingeht und das Kind ihre Erfüllung umso dringender einfordert. So manches Baby bekommt erst Verdauungsprobleme oder Kohliken und schreit, weil es ständig anhält und darauf wartet, dass es abgehalten wird. Ein Baby, dessen Bedürfnisse aber erkannt und erfüllt werden, ist fröhlich, ausgeglichen und entspannt. Und damit war auch ich entspannt.

Mit 1 Monat:

Der Papa brachte stolz das erste Töpfchen mit nach Hause. Ich schüttelte nur den Kopf, doch er ließ sich nicht beirren. Natürlich konnte unser Sohn noch nicht alleine darauf sitzen. Der Papa setzte ihn drauf, hielt ihn fest und scherzte: „Das Töpfchen brennt! Du musst es löschen! Wasser Marsch!“

So machte unser Sohn im Alter von einem Monat sein erstes Pipi ins Töpfchen. Ich musste lachen.

Nachts wurde unser Sohn unruhig, wenn er mal musste. Da wir zusammen in einem Bett schliefen, wurde ich davon wach. Ich ging dann mit ihm ins Bad und hielt ihn übers Waschbecken ab. Wenn ich nicht aufstand, wurde die Mullwindel nass. Dann, und nur dann, landete sein Arm auf meinem Gesicht. Auch tagsüber schlug er mit seinem Arm auf mich, wenn die Windel nass war und ich es nicht bemerkt hatte.

Wie funktioniert Windelfreiheit nachts?
Die Kommunikation nachts kann nur gelingen, wenn eine räumliche Nähe zwischen Baby und Eltern gegeben ist. Das Baby muss also mindestens im selben Zimmer, idealerweise sogar im selben Bett schlafen.

Wenn das Baby unruhig wird und man es bemerkt, kann man es neben das Bett über ein Gefäß abhalten. So muss man selbst nicht extra aufstehen.

Wem das zu viel ist, der kann natürlich nachts auch Wegwerfwindeln oder Stoffwindeln mit Überziehhose verwenden und das Kind nur tagsüber abhalten. Wichtig ist, dass Windelfreiheit nicht in Stress und völliger Übermüdung ausartet.

Mit 3 Monaten:

Unser Sohn war durch und durch kommunikativ. Wenn er sein großes Geschäft machte, hatten wir beim Abhalten immer Drückgeräusche gemacht. Seit unser Sohn drei Monate alt war, zeigte er ebenfalls durch Druckgeräusche an, dass er aufs Klo musste.

Die räumliche beziehungsweise körperliche Nähe zum Baby ist von Vorteil, um zu erkennen, dass es muss. Es gibt zwar auch Mütter, die drei Zimmer weiter spüren, wann ihr Baby muss, doch damit tat ich mich schwer. Ich brauchte die Nähe – und das nicht nur wegen der Ausscheidungskommunikation, sondern weil sie uns beiden guttat. So hatte ich unseren Sohn die meiste Zeit im Tragetuch oder lag neben ihm, wenn er schlief. Gerade im Tragetuch war die Kommunikation besonders gut. Wenn er aufs Klo musste, stemmte er sich mit den Füßen gegen mich und streckte sich aus dem Tuch heraus, so gut er konnte. Dann hielt ich ihn ab und meist stillte ich ihn danach.

Es war Winter und wir wollten auch draußen nicht auf die Windelfreiheit verzichten. So richteten wir unsere Ausflüge weitestgehend nach dem Rhythmus unseres Sohnes aus. Wir wussten, dass er zu dem Zeitpunkt etwa jede Stunde Pipi machen musste. Wir fuhren also los, kurz nachdem wir ihn abgehalten hatten. Nach einer Stunde in den Bergen angekommen, hielten wir ihn auf dem Parkplatz ab und wanderten mit ihm im Tragetuch eine Stunde den Berg hinauf. Oben auf der Hütte hielt ich ihn auf der Toilette ab und stillte ihn. Dann stärkten wir Eltern uns bei einer Brotzeit und nach einer weiteren Stunde, kurz vor dem Abstiegt, hielt ich ihn noch einmal ab. Im Tal angekommen hielten wir ihn neben dem Auto ab, dann fuhren wir eine Stunde nach Hause.

Wie funktioniert Windelfreiheit draußen im Winter?
Wer Windelfreiheit auch bei eisiger Kälte durchführen möchte ohne die Möglichkeit irgendwo einzukehren, für den ist es wichtig, einen zweiteiligen Schneeanzug für das Baby zu kaufen. Einen einteiligen Winteroverall ist eher hinderlich. Wenn man das Baby in der Kälte abhalten will, sollte man nur die Winterhose herunterziehen müssen, nicht die Jacke. Unter der Winterhose kann man dem Baby eine Schlitzhose aus warmer Wolle anziehen, bei der nur ein kleiner Spalt zwischen den Beinen geöffnet werden muss, um dem Baby das Ausscheiden zu ermöglichen. Der Rest bleibt warm eingepackt.

Natürlich hat man auch die Möglichkeit, für die Winterwanderung eine undurchlässige Windel zu benutzen und das Baby gar nicht erst ausziehen, sondern in die Windel machen zu lassen. Windelfreiheit heißt nicht, dass man jede Ausscheidung abfängt. Es reicht aus, das Baby ein- bis dreimal am Tag abzuhalten, damit es langfristig die Kontrolle über seine Ausscheidungen behält.

Das größte Problem bei der windelfreien Babypflege außer Haus war, dass ich mir selbst im Weg stand. Ich erwartete blöde Kommentare und schiefe Gesichter, weil ich wusste, dass Windelfreiheit in unserer westlichen Gesellschaft nicht bekannt war.

Dabei ist die natürliche Säuglingspflege weltweit verbreitet. Nur wir Menschen in den westlichen Industriestaaten haben uns im Laufe der letzten Jahrzehnte von zahlreichen Windelherstellern neue Sauberkeitsstandards einimpfen lassen. Wir haben vergessen, dass Babys ein natürliches Sauberkeitsbedürfnis haben und dass sie signalisieren, wenn sie müssen. Hier glauben die Leute stattdessen, sie müssten Jahre warten bis ihr Kind von sich aus Interesse zeigt.

Das hatte ich schon durchschaut. Dennoch war es für mich ein Problem, hierzulande damit umzugehen. Ich fühlte mich einsam und hatte Angst vor den Reaktionen der Unwissenden um mich herum.

Es war mir unangenehm, mit Freunden oder Verwandten unterwegs zu sein, die nichts davon wussten. Ich hatte zahlreiche innere Konflikte, weil ich unseren Sohn in deren Anwesenheit nicht abhielt, obwohl ich wusste, dass er musste. Unserem Sohn gegenüber hatte ich dann ein schlechtes Gewissen. Im Laufe der Zeit löste ich den inneren Zwiespalt auf und informierte vorab meine Freunde und Familie vor einem Treffen von der Windelfreiheit. Damit war meine selbst aufgebaute Hemmschwelle verschwunden.

Mit 7 Monaten:

Die Ansagen unseres Sohnes wurden zuverlässig. Es gab spürbar weniger „Unfälle“. Er konnte bis zu einer halben Stunde anhalten.

Mit 1 Jahr:

Die Entscheidung zur Windelfreiheit wurde auf eine letzte Probe gestellt. Die Mengen an Urin, die unser Sohn ausschied, übertrafen bei weitem das Auffangvermögen der Mullwindeln. Äußerst peinlich war mir das bei Freunden zu Hause oder in der S-Bahn. Unser Sohn hinterließ so manche große Pfütze. Unfälle mit großem Geschäft waren dagegen äußerst selten.

Nicht-durchlässige Windeln kamen für uns aber nicht in Frage. Die wenigen Male, an denen wir Wegwerfwindeln zuvor ausprobiert hatten, ignorierten wir die Zeichen unseres Sohnes, denn er konnte ja jederzeit in die Windeln machen ohne dass für uns ein Problem entstanden wäre. Er lag oder saß dann des Öfteren länger im Nassen, weil ich seine Zeichen nicht mehr wahrnahm. Das wollte ich nicht.

So verfolgten wir stur weiter unseren Weg. Da die Mullwindeln sowieso nicht ausreichten, um irgendetwas aufzufangen, ließen wir sie ganz weg. Wir kauften stattdessen Unterhosen und stockten unseren Vorrat an Wechselhosen auf. Wir warnten Freunde vor und gingen öfter mit unserem Sohn aufs Klo beziehungsweise fragten ihn öfter, ob er müsse.

Welche Windeln/Backups kann man benutzen?
Es gibt Backups, die man verwenden kann. Niemand muss den Weg gehen mit durchlässigen Mullwindeln, wie wir ihn gewählt haben. Stoffwindeln mit Überhose, undurchlässige waschbare Windeln oder Wegwerfwindeln – all diese kann man mit dem Prinzip der Windelfreiheit kombinieren. Denn bei der Windelfreiheit geht vor allem um die Kommunikation mit dem Baby – um die Wahrnehmung seiner Bedürfnisse und die Reaktion darauf.

Praktisch kann es manchmal sein, ein Töpfchen, ein spezielles Asia-Töpfchen oder ein kleineres, verschließbares Gefäß für Reisen mitzunehmen, damit man auch unterwegs ggf. die Möglichkeit hat, seinem Kind das kleine oder große Geschäft zu ermöglichen.

Mit 1,5 Jahren:

Unser Sohn war tags wie nachts trocken. Es gab danach selten einzelne Unfälle alle paar Monate.

Mit 3 Jahren:

Im Kindergarten ist unser Sohn der einzige unter den Gleichaltrigen, der trocken ist. Alle anderen fangen mit dem Sauberkeitstraining gerade erst an.

 

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